UNTER DRUCK. Selbst in Europa, dem Geburtskontinent der Demokratie, häufen sich die Anzeichen, dass diese Staatsform „der vielen Stimmen“ in die Krise gerät. Populistisch-autoritäre Parteien sind auf dem Vormarsch. In einigen „Vorzeige-Demokratien“ muss bereits mit Tricks gearbeitet werden, um die Feinde der Demokratie von den Schalthebeln fernzuhalten. Nun beziehen 26 Autorinnen und Autoren Stellung gegen Populismus und Autoritarismus.
Die Journalistin Gabriele von Arnim hat 26 gescheite Menschen aus allen Himmelsrichtungen der Welt und der Schreibstile versammelt, um sich Gedanken zu „Demokratie – Wofür es sich jetzt zu kämpfen lohnt“ zu machen. Nicht nur, weil die Zahl der Demokratien weltweit ständig abnimmt, und weil auch scheinbar stabile Demokratien immer öfter unter Druck geraten, sondern speziell um jene zu erreichen, die die Demokratie ohnehin für ein mehr oder minder bequemes Garantie Modell halten. Sie warnt: „Es sind auch die Demokratiedöser, die unsere Freiheit verspielen. Sie sind die Mehrheit. Sie lassen die Demokratie zugrunde gehen, weil sie meinen, sie sei da, um zu bleiben. Und kümmern sich nicht weiter.“ Ihr Befund nach einem Rundblick über den politischen Globus: „Die Welt ist auf vielen Ebenen politisch nicht aufgeklärter, weitgeistiger, offener geworden, sondern wird gerade wieder beschränkter, enger, kleingeistiger.“
Vielfalt der Ideen und Anstöße
Mehrfach geht es in den hochintelligenten und sehr unterschiedlich argumentierenden Texten um „Eliten“ und ihren „Gegenpol“, die neuen Rebellierenden. Die deutsche Schriftstellerin Thea Dorn schließt sich der Herausgeberin argumentativ an. Sie meint, Eliten sollten einsehen, „dass die ‚Stimme des Volkes‘ in einer liberalen Demokratie weder ‚Vox Dei‘ noch ‚Vox Rindvieh‘ ist, und wenn sich das Volk seinerseits erinnert, dass Mündigkeit …nur reklamieren kann, wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.“ Die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk (Bachmann Preis 2018) beschreibt sehr fein den Unterschied zwischen Demokratie und utoritärem System, und rät zur Dankbarkeit: „Ich betrachte Begegnungen, Gespräche, Spaziergänge, Reflexionen als die Krümel der Freiheit, die die primären zwischenmenschlichen Prozesse ermöglichen…Im Autoritarismus ist alles einfacher. Man blickt auf die Macht, und die Macht zwinkert zurück. Es gibt keine Krümel auf dem Tisch, alles befindet sich in bester Ordnung.“ Ronya Othmann (Jahrgang 1993), Tochter einer deutschen Mutter und eines kurdischen Vaters hat, wie sie schreibt „Demokratie immer von ihrem Negativ aus betrachtet“. In Aleppo hörte sie die Menschen bei Aufmärschen für das Regime rufen: „Assad bis in Ewigkeit.“ Das gab ihr zu denken über den Unterschied der Systeme: „Demokratie ist ein fortlaufender Prozess, sie ist zyklisch, lebt von Periode zu Periode, sie steuert auf kein Ziel zu.“ Die Theaterautorin Sasha Marianna Salzmann sieht Anzeichen, aus welcher Richtung der Wind des negativen Wandels weht: „Warum die Feinde der Demokratie es auf die Freiheit von Kunst und Kultur abgesehen haben, ist naheliegend: Indem sie die Diversität zum Verstummen bringen, etablieren sie ihr hasserfülltes, homogenes Weltbild.“
Demokratie: Zuhören und mitwirken
Der in Dublin geborene Autor Colum McCann stellt fest, dass „die wirksamste Methode, Furcht zu säen, darin besteht, den Leuten das Zuhören zu verbieten.“ Als Alternative sieht er: „Eine vernünftige Demokratie hat die Aufgabe, eine umfassendere, tieferschürfende Geschichte zu erzählen… Sie enthält Vielfalten. Sie kursiert in zahlreichen, teils widersprüchlichen Varianten…Sie muss formbar sein, ohne zu zerbrechen.“ Auch Schriftsteller Marcel Beyer aus Deutschland beschwört die Sprache als Medium der Freiheit: „Und nein, jene Menschen, die heute die Vergangenheit heraufbeschwören, die es nie gegeben hat, Menschen, die meinen, man könne der Zukunft entgehen, indem man sie schon heute vernichtet, Menschen, deren Weltbild auf Sieg oder Niederlage beruht, werden den Sieg nicht davontragen.“ Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz bezieht sich einigermaßen düster auf ein aktuell vielfach kursierendes Zitat: „,Wenn Wahlen irgendetwas ändern würden, würde man sie verbieten‘… Wer den Satz wirklich formuliert hat, ist nicht mehr eindeutig zu bestimmen, aber die meisten werden zustimmen, dass sehr viele Menschen heutzutage nach seiner Aussage leben oder zumindest, so wie ich, sie als hartnäckige Standardeinstellung in sich tragen.“ Mehr Mitwirkung lautet die Zukunftsformel, meint Herausgeberin Gabriele von Arnim: „Eine freie Gesellschaft braucht freie Menschen, die sich nicht zurückziehen in ihre festgemauerten Meinungen wie in ihre Wohnung und meinen, dort gut und sicher aufgehoben zu sein. Eine freie Gesellschaft braucht Menschen, die sich trauen, Fenster und Türen zu öffnen, in die Welt zu gucken, sie neu zu denken, Menschen, die Veränderungen akzeptieren und auch die Furcht vor Ungewissheit aushalten.“