Offene Themen der Justiz

 

 

 

 

 

 

TRÜGERISCHER SCHEIN? Hat der Bundespräsident, der die „Schönheit der Verfassung“ lobt, schon einmal von der „Schönheit der Justiz“ geschwärmt? Jährliche Image-Umfragen weisen aus, dass die Bevölkerung ein gleichbleibend solides Vertrauen in den Rechtsstaat verspürt. Also alles paletti, nachdem die in der Ära Kurz beliebten Attacken auf die Justiz vorbei sind? Mitnichten. Die neue Regierung steht vor einigen offenen Fragen zum Rechtsstaat. 

Dietmar Dworschak                                                                                                              

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  •  Weisungsspitze: Unselig wie die Einrichtung selbst ist die endlose Diskussion zum Weisungsrecht der Justizministerin, des Justizministers. Obwohl gefühlte 90 Prozent führender Repräsentanten der Justiz einen „Dreiersenat“ als neue Weisungsspitze bevorzugen würden, verbarrikadiert sich die ÖVP hinter dem Modell eines Bundesstaatsanwalts. Immerhin strapaziert diese Frage das künftige Budget nur wenig. Umso einfacher sollte man sich endlich einigen können. 
  • Postenbesetzungen in der Justiz: Erfreulich, dass der amtierende Bundeskanzler ein klares Wort gegen die in der Vergangenheit beliebten „Sideletters“ gesprochen hat. Gleichwohl vermerkte er, es solle auch in Zukunft möglich sein, wichtige Positionen in der Justiz zwischen den Parteien einer Koalition auszuverhandeln. Dem ist vehement zu widersprechen. Die Unabhängigkeit der Gerichte und insgesamt der Rechtsprechung wird in ihrer Qualität nur gefördert, wenn auch die Bestellungsvorgänge transparent sind. Zu wünschen ist die Objektivierung wichtiger Postenbesetzungen durch unabhängige Auswahlkommissionen, zusammengesetzt aus Vertreter:innen des jeweiligen Gerichts, ergänzt durch Fachleute aus der Wissenschaft.
  • Laufzeit von Verfahren: Nach Monsterverfahren wie BAWAG und BUWOG ist zu fragen, was zur künftigen Vermeidung überlanger Prozesse zu tun ist. Liegt es an Mängeln der Strafprozessordnung, die von Anwält:innen legal zur Verzögerung der Causen ausgenutzt werden oder fehlt es an straffer Aufsichtskontrolle in der Gerichtsorganisation? Lassen sich eventuell Höchstgerichte zu lange Zeit mit der Entscheidung auf oberster Ebene? Eine neue Justizministerin, ein neuer Justizminister hat da an einigen Schrauben zu drehen.
  • Modernisierung der Gerichte: Viel ist zu hören von der personellen Unterbesetzung der Gerichte. Speziell im Backoffice, heißt es, herrsche großer Mangel an Personal für die Unterstützung der Abläufe bei Gericht. Immerhin hat Ministerin Zadic mit dem Projekt der „Verfahrens-Manager“ eine gute Idee implementiert, die sich dem Hörensagen nach in der Praxis bewährt. Keine Rede ist bisher allerdings davon, dass ein beträchtlicher Teil der Arbeit im Verfahren von Künstlicher Intelligenz übernommen werden könnte. In den beiden Bereichen „Protokollierung“ und „Übersetzungen“ könnte sehr viel Geld mithilfe von KI gespart werden, inklusive der Terminverschiebung wegen nichterscheinender teurer Dolmetscher.
  • Staatsanwaltschaften: Zwar sind die mehr oder minder öffentlichen Forderungen nach einer Abschaffung der WKStA weitgehend verstummt, doch lassen die Personalturbulenzen der Behörde auf eine eher gedrückte Stimmung im Haus schließen. Es ist die Rede von teils schikanösen Berichtspflichten und einer daraus entstandenen „Beißhemmung“ speziell in Richtung großer Causen in Wirtschaft, Korruption oder Umwelt. Aus den Staatsanwaltschaften kreuz und quer im Lande hört man, dass es sowohl an Personal wie auch an Spezialisierung fehlt. Wichtige Themen wie „Cyber-Crime“ oder Mehrwertsteuerbetrug finden bei weitem nicht jene Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt. Weil gerade aus den zuletzt genannten Causen viel Geld für den Staat zu erlösen wäre, sollte eine neue Regierung mutig in die Ermittlungsbehörden investieren.
  • Informationsbeschaffung: Vor Jahresende noch muss eine neue gesetzliche Grundlage für die Beschlagnahme von Handys und Datenträgern im Parlament beschlossen werden. Da kann man nur ausrufen: „Glückauf“! Denn sollte diese vom VfGH verordnete Gesetzesreparatur nicht gelingen, schauen die Ermittler ab 1. Jänner 2025 durch die Finger. Es ist zu wünschen, dass eine „Last-Minute-Einigung“ der Parteien (auch außerhalb der Koalitionsverhandler) gelingt. Kein Gelingen möchte man hingegen dem Bundestrojaner, einem Herzensprojekt der ÖVP, wünschen. Bevor mit Hilfe dieser Schnüffelsoftware jeder Polizist unter Vorspiegelung einer Staatsgefährdung durch private Messengerdienste surft, verlassen wir uns lieber auf heiße Tipps ausländischer Geheimdienste. 
  • Informationsfreiheit: So neugierig sich die ÖVP an der Privatsphäre der Bürger:innen zeigt, so verschlossen gibt sie sich, wenn es um den Schutz „ihrer“ Bürgermeister geht. Eine dringende Gesetzesreparatur muss schleunigst jene Bestimmung aufheben, die Gemeinden mit unter 5.000 Einwohner:innen von der Informationspflicht gegenüber den Bürger:innen befreit. Denn gerade diese „kleinen“ Einheiten leiden besonders unter Intransparenz und Mauschelei. Daneben sollten aus dem Informationsfreiheitsgesetz dubiose Geheimhaltungsgründe entfernt werden. Zur Klärung und Schlichtung von Fragen und Streitigkeiten rund um das Gesetz wäre die Installierung einer/eines „Beauftragten für Informationsfreiheit“ geboten. 

Ein Wort noch zur künftigen Leitung des Justizressorts: Die Erfahrung der vergangenen Regierungsperiode zeigte, dass der größere Partner ungeniert im Revier der anderen Couleur Einfluss nahm. Machtspiele, Begehrlichkeiten und Postenstreitereien könnte man am einfachsten durch die Bestellung eines/r unabhängigen Experten/Expertin vermeiden. In der Vergangenheit hat das schon gut funktioniert.