Von anderen lernen: Könnte die Lösung der Wohnungskrise in New York City in Wien oder Argentinien liegen?

 

 

 

 

 

UNLEISTBARES WOHNEN? Weltweit strömen immer mehr Menschen vom Land in die Städte. Das Wohnen in den Metropolen wird immer teurer. Eine der Lösungen könnte die Mietpreisbindung sein. Oder Gemeindewohnungen wie in Wien. In New York werden verschiedene Modelle diskutiert. Auch ein ultrakapitalistisches aus Buenos Aires.

Stephen M. Harnik, Esq., New York                                                                                                                                 

 

Am 23. Mai 2023 widmete das New York Times Sunday Magazine die gesamte Ausgabe dem leistbaren Wohnen in der Stadt Wien. Der Titel lautete „Imagine a Renter’s Utopia. It might look like Vienna” darunter “Soaring real estate markets have created a worldwide housing crisis. What can we learn from a city that has largely avoided it?” Der Artikel beschrieb, wie in der Zeit des sogenannten Roten Wien von 1919 bis 1934 ein umfassendes System des sozialen Wohnungsbaus entwickelt wurde, und heute noch 43% des Wohnungsbestands der Stadt Mietzinsbeschränkungen unterliegen. Dieses System, gekoppelt mit strengen Mieterschutzbestimmungen, hat ein Umfeld geschaffen, in dem Wohnraum – zumindest mehr als anderswo – als Sozialleistung und nicht als Spekulationsgut betrachtet wird. Insbesondere die berühmten Gemeindebauten sind ein Zeugnis für das Engagement Wiens für leistbaren Wohnraum. Neben den deutlich unter den Marktpreisen liegenden Mieten ist das System auch bemerkenswert integrativ, da ein vergleichsweise beachtlicher Teil der Bevölkerung, darunter auch Menschen, die nach lokalen Maßstäben als Mittelschicht gelten, anspruchsberechtigt ist. Diese breite Reichweite fördert die sozioökonomische Vielfalt innerhalb der Gemeindebauten und wirkt dem Stigma entgegen, das oft mit Sozialwohnungen verbunden ist. Der Mieterschutz, insbesondere die gesetzlichen Begrenzungen bei Mieterhöhungen und der Kündigungsschutz bieten dabei ein ähnliches Maß an Sicherheit wie Wohneigentum. Dieser umfassende Ansatz hat in Wien eine Kultur des Mietens gefördert, welche im krassem Gegensatz zu NYC steht.

 

New Yorks Mieterschutzgesetz von 2019: Ein Schlachtfeld für die Mietpreisbindung

New York City ist bekanntermaßen ein teures Pflaster. Der vielleicht größte Faktor, der zur fast sprichwörtlichen Unerschwinglichkeit des Lebens in dieser Stadt beiträgt, sind die Mietkosten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Stadtregierung bereits vielfach Initiativen zur Schaffung von leistbarem Wohnraum ergriffen hat, und insbesondere die Versuche eine Mietpreisbindung durchzusetzen bereits eine lange Geschichte haben. Laut der NYC Housing and Vacancy Survey (HVS) von 2023 gibt es in der Stadt New York lediglich etwa 24.020 mietpreisgebundene („rent-controlled“) und etwa 960.600 mietpreisstabilisierte („rent-stabilized“) Wohnobjekte. Das rent-controlled Konzept schränkt die Mieterhöhungen für Wohnungen in Gebäuden, die vor 1947 gebaut wurden, ein. Um Anspruch auf die Mietpreisbindung zu haben, muss ein Mieter allerdings seit dem 1. Juli 1971 ununterbrochen in einer Wohnung leben oder ein berechtigtes Familienmitglied sein, das die Wohnung geerbt hat (mehr dazu unten). Wenn eine mietpreisgebundene Wohnung frei wird, wird sie automatisch „mietstabilisiert“ (rent-stabilized). Die Miete von mietstabilisierten Wohnungen kann jedes Jahr nur um einen bestimmten Betrag erhöht werden, und Mieter haben Anspruch auf Mietvertragsverlängerungen. Dies bietet bestimmten Mietern ein gewisses Maß an Wohnsicherheit, lässt aber die restlichen ~55 % der New Yorker um das verbleibende Angebot kämpfen, was dementsprechend zu künstlich überhöhten Mieten führt. Bei den kontrollierten bzw. stabilisierten Einheiten argumentieren die Vermieter wiederum, dass sie in ihren Eigentumsrechten verletzt – und Investitionen in Mietwohnungen behindert – würden. Die Verabschiedung des Tenant Protection Act von 2019 hat diese Debatte weiter angeheizt. Das Gesetz, das mehrere mieterfreundliche Bestimmungen einführte, darunter eine generelle Begrenzung von Mieterhöhungen und die Stärkung des Schutzes vor Räumungsklagen, wurde von Vermietern scharf kritisiert. Vor diesem Hintergrund befasste im Jahr 2024 eine Gruppe von New Yorker Vermietern in der Sache 74 Pinehurst v. New York und 335-7 LLC v. New York sogar den U.S. Supreme Court mit der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Mietstabilisierungssystems der Stadt (das New Yorker Recht kennt rent-stabilized apartments seit über 50 Jahren). Im Rahmen dieses Systems legt ein vom Bürgermeister ernannter Ausschuss fest, um wie viel Vermieter die Mieten jährlich erhöhen dürfen. Die klagenden Vermieter argumentierten, dass das System einer „Enteignung“ gemäß dem fünften Zusatzartikel zur Verfassung gleichkomme, und verwiesen auf die im Gesetz festgelegten Beschränkungen für Mieterhöhungen und Räumungsverfahren. Durch die Beschränkungen die Mieten anzupassen, würde weiters dazu führen, dass in der Regel Mietverträge verlängert werden müssen, was wiederum die Möglichkeit der Vermieter beeinträchtige, sich an die Marktbedingungen anzupassen oder ihr Eigentum nach eigenem Ermessen zu nutzen. Weiters hätte das System nach Ansicht der Kläger zu einem erheblichen (60–70%) Wertverlust ihrer Immobilien geführt. Am 20. Februar 2024 lehnte der Supreme Court jedoch eine Anhörung in diesem Fall ab und ließ das Gesetz von 2019 und das Mietstabilisierungssystem der Stadt unangetastet. Richter Clarence Thomas räumte in einer Erklärung zur Ablehnung zwar die Bedeutung des Problems ein, wies aber darauf hin, dass die Schriftsätze der Vermieter „hauptsächlich allgemeine Behauptungen über ihre Umstände und Schäden“ enthielten. Mit anderen Worten, das Höchstgericht kam zu dem Schluss, dass es spezifischere Informationen benötige, um die Auswirkungen der städtischen Vorschriften nachvollziehen zu können, bevor es über die Zulassung einer solchen Beschwerde entscheiden könnte. Gleichzeitig äußerte Richter Thomas die Hoffnung, dass ein künftiger Fall mit detaillierteren finanziellen Nachweisen durchaus eine Grundlage für den Supreme Court darstellen könnte, sich grundsätzlich mit der Verfassungsmäßigkeit von Mietkontrollsystemen zu befassen.

 

Argentiniens Experiment: Abschaffung der Mietpreisbindung

Interessanterweise hat Argentinien kürzlich, im krassen Gegensatz zu Wien und New York, im ganzen Land ein gewagtes Experiment gestartet: die vollständige Abschaffung der Mietpreisbindung. Dieser Schritt, der vom neuen Präsidenten des Landes, Javier Milei, vorangetrieben wurde, ist Teil einer umfassenderen Bemühung, jahrzehntelange Wirtschaftsregulierungen abzubauen und die Wirtschaft des Landes zu liberalisieren. Die ersten Ergebnisse dieses Experiments sind beeindruckend. Die Aufhebung der Mietpreisbindung hat zu einem Anstieg des Mietangebots geführt, da Vermieter ihre zuvor leerstehenden Immobilien schnellstmöglich auf den Markt bringen wollten. Dieses erhöhte Angebot hat wiederum tatsächlich zu einem Rückgang der Mietpreise geführt. Laut dem Wall Street Journal stellt sich die Situation wie folgt dar: “Buenos Aires rental supplies are increasing by over 170%. While rents are still up in nominal terms, many renters are getting better deals than ever, with a 40% decline in the real price of rental properties when adjusted for inflation.” Der Übergang verlief jedoch nicht ohne Herausforderungen. Für manche Mieter hat die Abschaffung der Mietpreisbindung dennoch zu einem starken Anstieg ihrer Mietkosten geführt, insbesondere naturgemäß für diejenigen mit bis dahin mietpreisgebundenen Verträgen. Insbesondere für Personen die sich in einer wirtschaftlichen Notlage befanden bzw. nur über ein geringes Einkommen verfügten bekamen dabei die negativen Auswirkungen der Liberalisierung zu spüren.

Die Erfahrungen aus Wien, New York und Argentinien bieten wertvolle Einblicke in die Komplexität der Mietpreisbindung. Es gibt offensichtlich keine Patentlösung, aber es ist klar, dass jegliche Ansätze der Wohnbaupolitik sehr sorgfältig ausgearbeitet und umgesetzt werden müssen, um einen vernünftigen Ausgleich der Interessen von Vermietern und Mietern herzustellen. Die Immobilienkrise ist auch ein wichtiges Thema bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Obwohl sich keiner der beiden Kandidaten konkret zu einem Plan zur Senkung der Immobilienpreise in New York City geäußert hat, haben sowohl Trump als auch Harris generell die Erschwinglichkeit von Wohnraum in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne gestellt. Vizepräsidentin Harris schlägt einen „Cocktail aus Steuersenkungen“ vor, um den Wohnungsbau anzukurbeln, sowie die Schaffung von Wohnungseigentum durch eine Vergünstigung von 25.000 US-Dollar für Erstkäufer zu fördern. Der ehemalige Präsident Trump verspricht unterdessen, die Wohnkosten durch die Abschiebung illegaler Einwanderer und durch günstigere Hypothekenzinsen zu senken (wobei er dabei freilich übergeht, dass der Präsident keinerlei Kompetenz hat die Zinssätze festzulegen). Ökonomen haben unterdessen bereits ernsthafte Zweifel an den Vorschlägen beider Kandidaten geäußert. Während die Debatte weitergeht, sollten die politischen Entscheidungsträger die langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen berücksichtigen und sich bemühen, ein System zu schaffen, das die Erschwinglichkeit und Sicherheit von Wohnraum für alle gewährleistet – und die politische Rhetorik auf ein Minimum beschränken und stabilisieren. 

 

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Ich möchte Nicholas M. Harnik für seinen wertvollen Beitrag zu den Recherchen für diesen Brief danken.

 

 

 

 

 

Leistbares Wohnen: Im Gegensatz zu New York oder Buenos Aires gibt es in Wien sowohl eine große Zahl von günstigen Wohnungen im Eigentum der Gemeinde Wien wie auch viele Objekte, die der Mietpreisbindung unterliegen.