Haben wir ausreichend Zugang zum Recht?

 

Diese Frage stellte sich die Europäische Kommission anhand des EU Justice Scoreboard im Jahr 2024 bereits zum 12. Mal. Dieses Jahr wurden im EU Justice Scoreboard neue Aspekte untersucht und bewertet, wie der Zugang zu Justizberufen für Menschen mit Behinderungen, der Zugang der Verbraucher zur Justiz im Wege von Verbandsklagen zum Schutz ihrer kollektiven Interessen; die Gehälter des Fachpersonals der Justiz und Staatsanwaltschaft und die Notare und ihre Befugnisse im Nachlassverfahren. Die Ausgabe 2024 enthält erstmals auch konkrete neue Zahlen zur Unabhängigkeit der Justiz, beispielsweise zur Ernennung von Gerichtspräsidenten und zur Entlassung von Generalstaatsanwälten

Dr. Alix Fran-Thomasser                                                                                                                               

 

Diese Frage stellte sich die Europäische Kommission anhand des EU Justice Scoreboard im Jahr 2024 bereits zum 12. Mal. Dieses Jahr wurden im EU Justice Scoreboard neue Aspekte untersucht und bewertet, wie der Zugang zu Justizberufen für Menschen mit Behinderungen, der Zugang der Verbraucher zur Justiz im Wege von Verbandsklagen zum Schutz ihrer kollektiven Interessen; die Gehälter des Fachpersonals der Justiz und Staatsanwaltschaft und die Notare und ihre Befugnisse im Nachlassverfahren. Die Ausgabe 2024 enthält erstmals auch konkrete neue Zahlen zur Unabhängigkeit der Justiz, beispielsweise zur Ernennung von Gerichtspräsidenten und zur Entlassung von Generalstaatsanwälten. Was auf den ersten Blick so selbstverständlich in einem EU-Land ist, der Zugang zum Recht für alle, erweist sich in vielen wesentlichen Bereichen noch immer nur als ein erstrebenswertes Ziel. Es ist zunächst wichtig, gesetzlich garantierte Ansprüche zu haben, aber genauso wichtig ist die Frage, ob ich diese dann auch durchsetzen kann. Artikel 47 der Charta für Grundrechte der Europäischen Union verlangt, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die Europäische Konvention für Menschenrechte garantiert u.a. das Recht auf den ordentlichen Richter (Art. 31 Abs. 1 LV und Art. 6 Abs. 1 EMRK), das rechtliche Gehör (Art 31 Abs 1 LV und Art. 6 Abs. 1 EMRK), das Recht auf Beschwerdeführung (Art. 43 LV und Art. 6 Abs 1 EMRK), den Anspruch auf Erledigung der Rechtssache innert angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und den Anspruch auf ein faires Verfahren und Waffengleicheit (Art. 6. Abs. 1 EMRK). Ein ganz wichtiger Bereich der Diskussionen um einen gesicherten Zugang zum Recht ist das Antidiskriminierungsrecht, also das Verbot der Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der sexuellen Orientierung, des Alters, einer Behinderung, der Religion oder des Glaubens. Die Schlüsselelemente für einen gesicherten Zugang zum Recht sind ein faires und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht; die Möglichkeit, in einem Rechtsfall unabhängig rechtlich beraten, vertreten und verteidigt zu sein; Zugang zu unentgeltlicher Rechtsberatung für finanziell Schwächere; eine bindende Entscheidung innerhalb angemessener Zeit und der Anspruch auf Wiedergutmachung bzw. Schadenersatz. Die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) hat zur Verbesserung der Situation eine Fokussierung auf 5 Bereiche empfohlen. Europaweit sind in den Antidiskriminierungsgesetzen unterschiedliche und oft sehr kurze Anspruchsfristen vorgesehen, eine grundsätzliche Verlängerung dieser Anspruchsfristen erleichtert es Betroffenen ihre Rechte geltend zu machen. Erst in wenigen EU Staaten (z.B. Belgien, Ungarn und Irland, Österreich) existiert für Betroffene, die finanziell schwach sind, oder einfach nur Angst vor diversen Konsequenzen bei Verfolgung ihrer Ansprüche haben (z.B. Jobverlust), die Möglichkeit, ihre Ansprüche mit ihrer Zustimmung über nicht staatliche Organisationen, sogenannte Klagsverbände geltend zu machen. Eine überlange Verfahrensdauer bis endlich eine bindende Entscheidung vorliegt ist nach FRA ein „Killerargument“ für einen gesicherten Zugang zum Recht in Diskriminierungsfällen. Rechtsberatungskosten, aber auch wie in Österreich exponentiell mit dem Streitwert steigende Gerichtsgebühren stellen eine oft unüberbrückbare Hürde für Diskriminierungsopfer zur Durchsetzung ihrer Ansprüche dar. Unterschiedliche und teils intransparente Berechnungsmethoden für den Schadenersatzanspruch in Diskriminierungsfällen führen zu oft „zahnlosen“ Waffen gegen Diskriminierung. Und ist der innerstaatliche Rechtszug ausgeschöpft, bleibt Diskriminierungsopfern nur mehr der Weg zum Europäischen Gerichtshof oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Eine Zuständigkeit vor ersterem zu erlangen, ist sehr schwer, während letzterer mit Verfahren so überlastet ist, dass der Zugang zum Recht erst recht in Frage gestellt ist. Die WomenInLaw Initiative www.womeninlaw. info hat im Rahmen ihrer 5. Internationalen Konferenz am 13. September 2024 eine Vielzahl von Stolpersteinen auf dem Weg zu einem gesicherten Zugang zum Recht diskutiert. Von diesen Diskussionen angeregt wird noch vor der Jahreswende 2024 auf die Situation in Österreich bezogen eine Sonderveranstaltung mit Personen aus der Justiz, Klagsverbänden, der VIAC u.a. stattfinden, die Gerichts- und Verwaltungsverfahren, als auch alternative Streitbeilegungsverfahren diskutieren werden.