Kolumne

Die Suder-Spirale

 

 

BESTANDSAUFNAHME. Nach der Wahl haben wir, volkstümlich gesagt: den Scherb’n auf. Der Knapp-30-Prozent-Volkskanzler setzt seine Österreich-geht-unter-Demagogie fort und alle anderen starren auf ihn wie das Kaninchen auf die Schlange. Ein Land, das seit zwei Jahren stillsteht, ist noch stiller geworden. Man muss jetzt einmal fragen, warum.                                                                                                                                                                            

„Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“ (Joseph de Maistre, französischer Philosoph, 1753 –1821). Fatalismus oder gefährliche Drohung? In Österreich beides. Denn seit der Wahl wissen wir, dass einiges aus den Fugen geraten ist. „Randalieren statt diskutieren“ könnte in Riesenlettern über dem Abendhimmel der Nation stehen. Was aus österreichischer Perspektive bisher nur fernen Tumult-Ländern (USA, Ostdeutschland, eventuell Italien) nachgesagt wurde, hat auch uns erreicht: die Spaltung.

 

Auf einem anderen Stern?

Bruno Kreisky wurde als „Sonnenkönig“ bezeichnet, obwohl er bekanntlich sehr grantig sein konnte. Und je älter er wurde, umso weniger gut war er aufgelegt. Eine der Grundursachen seiner miesen Laune dürften die Österreicherinnen und Österreicher gewesen sein. Als diese dem Kanzler wieder einmal deftig auf den Nerv gestiegen waren, stellte er das ewig sudernde Land einmal zur Rede. Er empfahl den Alpenrepublikanern, sich bei Gelegenheit einmal in der Welt umzuschauen. Dann wäre den undankbaren Socken vom Boden- bis zum Neusiedlersee nämlich ihre privilegierte Gesamtsituation klar. Er nannte diese: „Insel der Seligen“. Daran hat sich wenig geändert. Österreich gehört zu den reichsten und sichersten Ländern der Welt. Wien gewinnt alle Jahre wieder den Titel der lebenswertesten Stadt der Welt. Kürzlich empfahl die „New York Times“ den Bürgermeistern aller Mega-Städte, einmal nach Wien zu schauen. Dort sei das Wohnen noch leistbar (siehe auch Seite 18/19). Auch das Gesundheitssystem gehört zu den besten, die man auf der Welt haben kann. Es besteht nun das Phänomen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung des Landes Österreich eher als ein Jammertal denn als eine „Insel der Seligen“ wahrnimmt. Diese Stimmung wurde und wird gezielt befeuert. 

 

Suderei als Nährboden

Reinhard Fendrich hat den schönen Liedanfang „Ich bin ein Negerant, Madam“ geschrieben. Er, der ausgewiesene Österreich-Kenner, hätte besser getextet: „Ich bin ein Suderant, Madam“. Und er hätte damit jenem Wesen ein Denkmal setzen können, das gerade dabei ist, Österreich zu versenken. Die Suder-Spirale dreht sich mittlerweile in einer Geschwindigkeit, dass einem Hören und Sehen vergeht. Als ich am 29. September zur Wahl ging, hatte ich das Gefühl, die Menschen stampften mit aufgestellten Körperhaaren zur Urne hinein. Anderntags war als Dorfergebnis zu lesen: ÖVP minus 50%, FPÖ plus 100%. Ein herzliches Grüßgott! Euer Wille geschehe.

 

Was ist geschehen?

Ein beträchtlicher Teil der Bürgerinnen und Bürger, die seit Jahrzehnten sämtliche Wohlfahrtssysteme des Landes ausnützen (Soziales, Gesundheit, Pensionen), stellte an der Urne fest: Wir wollen Euch da oben nicht mehr! „Ihr habt versagt!“ Dass es zu dieser extrem negativen Stimmung gekommen ist, hat auch damit zu tun, dass Österreich tatsächlich keine „Insel der Seligen“ mehr ist, nämlich, was die politische Kommunikation betrifft. Was diese Wahl so deutlich geprägt hat, möchte ich „Unter-dem-Tisch-Hetze“ nennen. Eine gigantische Zahl von bewussten Unwahrheiten und Halbwahrheiten wurde in sämtlichen sozialen Medien verbreitet. Wenig informierte bzw. wenig interessierte Bürgerinnen und Bürger, speziell jüngere Jahrgänge, gingen dieser „regierungskritischen“ Propaganda auf den Leim. Auf den Nährboden der nationalen Grundmentalität („eh alles gaga“) pinselten die Populisten ihren toxischen Manipulations-Brei Marke AfD. Österreich ist auch nicht anders als Mecklenburg-Vorpommern.

 

Aussichten? Es sieht nicht gut aus. Das demagogische, wahrheitsferne Negativgerede hat die Oberhand gewonnen und prägt den öffentlichen Diskurs. Konstruktive Elemente stehen in der Defensive. Wer heute sagt, ÖVP und Grüne hätten auf einigen Gebieten gute Ergebnisse erreicht erntet mitleidiges Lächeln oder Hohn. Die Lähmung hat nicht nur die Politik erreicht, sondern – viel schlimmer – die Wirtschaft. Das ständige Bohren der Suder-Spirale führte dazu, dass die Menschen ihr Geld nicht mehr ausgeben, sondern bei lächerlichen Zinsen auf der Bank horten. Um dann empört festzustellen: Die Wirtschaft läuft nicht. Was tut man, wenn der Computer blockiert ist? Alles runterfahren, neu starten.

 

Autor:

Dietmar Dworschak

Herausgeber und Chefredakteur

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