Rechtsstaatlichkeit begreiflich machen und Fehlentwicklungen aufzeigen

ÖRAK-Präsident Dr. Armenak Utudjian im Gespräch mit Anwalt Aktuell über die „Fieberkurve des Rechtsstaates“, aktuelle Reformen und den diesjährigen Anwaltstag in Wien.

Anwalt Aktuell: Die Europawahl liegt hinter uns, die Nationalratswahl direkt vor uns. Wie wichtig ist Europa für die Rechtsanwaltschaft und wie bewerten Sie die politische Entwicklung in Europa?

 

Armenak Utudjian: Die Europäische Union hat Österreich Tore geöffnet, die sonst verschlossen geblieben wären. Der EU-Beitritt war gewissermaßen der Startschuss für eine neue Zeit, ein Schritt nach vorne, in eine Zukunft als moderner Staat. Noch ist Europa der größte Wirtschaftsraum, diesen Vorsprung verlieren wir aber sukzessive. Wenn Wohlstandsverlust droht, ist auch immer der Rechtsstaat in Gefahr. Er ist aber zugleich auch, und das werde ich nicht müde zu betonen, der beste Standortvorteil, den Europa und insbesondere Österreich haben. Wir haben keine günstigen Steuersätze, wir haben keine Bodenschätze und wir haben zu wenig Anreize, um Forschung und Entwicklung in Europa zu binden. Das Beste, das wir beim Wettbewerb der Stand orte ins Treffen führen können, ist Rechtssicherheit und die Stabilität unseres Rechtsstaates. Daran müssen wir weiterarbeiten.

 

Anwalt Aktuell:  Sie haben kürzlich die sogenannte Fieberkurve des Rechtsstaates vorgestellt. Worum geht es bei diesem Projekt?.

 

Armenak Utudjian: Bei der Fieberkurve des Rechtsstaates handelt es sich um eine Studie, die wir bereits seit dem Jahr 2016 in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit der Universität Wien und einem Expertenteam ausarbeiten, um die österreichische Rechtsstaatlichkeit zu messen und im Zeitraffer darzustellen. In der vorliegenden Studie wurden die zugrundeliegenden Indikatoren in elf Kategorien mit den Ergebnissen der Studien aus den Jahren 2016, 2018 und 2020 verglichen. Dadurch ist es möglich, Entwicklungen, Tendenzen, Stärken und Schwächen der österreichischen Rechtsstaatlichkeit gezielt aufzuzeigen und Verbesserungen anzustoßen. Wir halten das für ein ganz wesentliches Instrument, um den sonst kaum  erklärbaren Begriff Rechtsstaatlichkeit begreiflich zu machen und Fehlentwicklungen rechtzeitig aufzuzeigen.

 

Anwalt Aktuell: Aufgezeigt haben Sie in der jüngeren Vergangenheit insbesondere Reformbedarf im Zusammenhang mit dem Schutz von Beschuldigtenrechten. Wie ist der aktuelle Stand bei diesen Themen?

 

Armenak Utudjian: Wir haben uns in den letzten eineinhalb Jahren sehr intensiv für eine Stärkung der Beschuldigtenrechte eingesetzt, gerade weil wir in diesem Bereich einige gravierende Defizite wahrgenommen haben. Inzwischen ist es gelungen, eine völlige Neuregelung des Verteidigungskostenersatzes auf Schiene zu bringen, die zu einer spürbaren Verbesserung der bisher inakzeptablen Situation führen wird. Das halte ich für einen echten Meilenstein. Außerdem haben wir bereits im November 2022, also ein Jahr vor der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, den akuten Reformbedarf bei der Sicherstellung und Auswertung von Datenträgern und Daten aufgezeigt und uns für eine sachgerechte Neuregelung eingesetzt. Diese ist erst kürzlich in Form eines Initiativantrags im Parlament eingebracht worden und soll noch vor dem Sommer beschlossen werden. Es ist also einiges weitergegangen, auch wenn natürlich längst nicht alle justizpolitischen Baustellen fertiggestellt sind.

 

Anwalt Aktuell: Geben Sie uns abschließend noch einen Ausblick auf den Herbst. Im September steht nicht nur die Nationalratswahl an, sondern auch ein besonderer Anwaltstag...

 

Armenak Utudjian: Ganz genau. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag feiert heuer sein 50-jähriges Jubiläum. Wir werden daher von 26. bis 28. September 2024 unter dem Motto „Gemeinsam für Gesellschaft und Rechtsstaat“ einen Sonderanwaltstag in Wien veranstalten und ein spannendes Programm mit hochkarätigen Vortragenden anbieten. Ich lade alle interessierten Kolleginnen und Kollegen ein, an dieser besonderen Veranstaltung unseres Standes teilzunehmen. Natürlich wird es auch ein stimmungsvolles Abendprogramm geben. Alle Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie in kürze unter anwaltstag.at. Wir würden  uns sehr freuen, wenn möglichst viele Kolleginnen und Kollegen durch ihre Teilnahme ein sichtbares Zeichen für die Geschlossenheit des Standes und unsere Bedeutung für Gesellschaft und Rechtsstaat setzen.

 

Anwalt Aktuell: Sehr geehrter Herr Präsident, wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg und freuen uns auf den Anwaltstag!