"Nach wie vor sind unsachliche und auch persönliche Angriffe zu beobachten“

 

 

 

 

 

 

 

KLARE WORTE. Elena Haslinger, die neue Präsidentin der österreichischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, äußert sich im Gespräch mit ANWALT AKTUELL sehr deutlich zu Attacken aus der Politik, zum Sorgenthema Cybercrime oder zum Verteidigungs-Kostenersatz. Auch zum Thema „Verschlüsselte Dienste“ ist sie ganz konkret.

Interview: Dietmar Dworschak 

 

Anwalt Aktuell: Frau Präsidentin, wirkt es nur so oder haben die Angriffe der Politik auf die Justiz in letzter Zeit nachgelassen?

 

Elena Haslinger:: Ich glaube, da sind die verschiedenen Staatsanwaltschaften unterschiedlich stark betroffen. In meiner Wahrnehmung ist die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mit ihren clamorosen Verfahren nach wie vor stark im Fokus der Kritik. Zu beobachten sind da nach wie vor unsachliche und auch persönliche Angriffe auf Kolleginnen und Kollegen. Die Folge ist, dass sich Kolleginnen und Kollegen gut überlegen, ob sie sich dem aussetzen. Das kann dazu führen, dass es zu Problemen bei der Besetzung von Planstellen kommt. 

 

Anwalt Aktuell: Könnte es politisches Kalkül sein, dass man sich sagt, das ist eh fein, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verabschieden – und nachbesetzen tun wir am besten auch nicht…?

 

Elena Haslinger: Ich halte das für brandgefährlich, weil es dazu führen kann, dass man bei diesen in Kritik stehenden Behörden Planstellen nicht mehr besetzen kann, wenn es keine Bewerberinnen und Bewerber mehr gibt, wenngleich die Tätigkeit interessant wäre und sich ein lohnendes Feld zur Verbrechensbekämpfung anböte. Können Planstellen nicht besetzt werden, wirkt sich das negativ auf die Verfahrensdauer aus und das hätte letztlich sowohl für Beschuldigte, als auch für die Opfer unangenehme Folgen.

 

Anwalt Aktuell: Was wollen Sie als neue Präsidentin der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte tun, um die Themen Ihrer Berufsgruppe in der Öffentlichkeit sichtbar und hörbar zu machen?

 

Elena Haslinger: Wir wollen zum Beispiel sehr deutlich darauf hinweisen, dass im Bereich Cyber- Crime sehr viel zu tun ist. Seit 2020 beobachten wir eine enorme Steigerung der Straftaten in diesem Bereich. Die Aufklärungsquote liegt derzeit bei ca. 31 Prozent. Wir sehen hier großen Bedarf, zuerst einmal, was unser Personal betrifft. Die Täter agieren immer öfter aus dem Ausland, machen das sehr professionell, multilateral und arbeitsteilig. Zumeist sitzen sie in Ländern, mit denen Kooperationen im Rechtshilfeweg nicht funktionieren. Dazu kommt aus unserer Sicht, dass die Ermittlungsmaßnahmen mit den technischen Entwicklungen nicht Schritt gehalten haben. Man denke nur an die fehlenden Möglichkeiten, verschlüsselte Nachrichten zu überwachen. Die organisierte Kriminalität schreibt heute keine SMS, sondern verschlüsselte Nachrichten und kommuniziert ausschließlich über diese Dienste. Da muss man nachrüsten, um diese verschlüsselten Dienste im Bedarfsfall überwachen zu könne

 

Anwalt Aktuell: Woran liegt es, dass diese Überwachung beispielsweise in Deutschland bereits möglich ist, aber in Österreich noch immer nicht erlaubt wird?

 

Elena Haslinger: Ich glaube, dass die Diskussion feststeckt, weil sich da verhärtete Positionen gegenüberstehen. Ich verstehe, dass es die Angst gibt, die Überwachung des Staates könnte überhandnehmen. Ich bin aber der Meinung, dass es sehr wohl möglich ist, eine verfassungskonforme Möglichkeit der Überwachung zu schaffen. Mit dem entsprechenden politischen Willen geht das. Es gibt auch noch andere Themen. Für uns wäre beispielsweise ein europäisches Konten-Register sehr wertvoll. Wir stehen nicht selten vor dem Problem, dass eine IBAN mit der Länderkennung AT beginnt, aber nicht von einer österreichischen Bank vergeben wurde, weil es die Möglichkeit virtueller IBAN’s gibt. Bis wir im Zuge der Ermittlungen draufkommen, dass die IBAN zum Beispiel von einer rumänischen Bank vergeben wurde, sind wir den Tätern schon zehn Schritte hinterher.

 

Anwalt Aktuell: Es gibt im nächsten Jahr ein Budget des Justizministeriums zur Entschädigung von Menschen, die lange und teure Gerichtsverfahren durchstehen mussten. Der entsprechende Gesetzesentwurf gefällt Ihnen nicht zur Gänze, habe ich gehört?

 

Elena Haslinger: : Laut dem Entwurf soll ein Verteidigungskostenersatz auch dann zustehen, wenn ein Ermittlungsverfahren eingestellt wird und rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten. Wir finden das problematisch. Wenn ich Ihnen ein Beispiel geben darf: Jemand schneidet im Straßenverkehr eine Kurve und hat das Glück, dass der Unfallgegner, mit dem er kollidiert, nur leicht verletzt wird. Nach derzeitiger Rechtslage wäre das Verfahren gegen den Unfallverursacher einzustellen. Sollte der Beschuldigte für dieses Verfahren einen Verteidiger nehmen, der ihn etwa bei der Beschuldigtenvernehmung vertritt und für ihn Eingaben bei der Staatsanwaltschaft macht, könnte nach Abschluss des Verfahrens ein Kostenersatz begehrt werden. Wir sehen es als problematisch an, dass mit Steuermitteln in diesen Fällen die Verteidigungskosten erstattet werden, weil ja ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vorliegt. Selbiges gilt beispielsweise, wenn die Einstellung des Verfahrens erfolgt, weil die Straftat verjährt ist.

 

Anwalt Aktuell: Aus der Politik gibt es neuerdings die Forderung nach der Absenkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre. Stimmen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hier zu?

 

Elena Haslinger: Wir haben es im Stand intensiv diskutiert und es gibt keine einhellige Meinung. Aus unserer Sicht gilt es, legistische Schnellschüsse zu verhindern. Deshalb wäre es wünschenswert, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt und die Thematik mit allen einschlägigen Experten diskutiert und evaluiert. Mit überhasteten Gesetzesänderungen beseitigt man die bestehenden Probleme nicht. Es gibt sehr gute Gründe, warum Experten davor warnen, die Strafmündigkeitsgrenze herabzusetzen. In der täglichen Arbeit sehen wir aber auch Fälle, wo schon vor dem vierzehnten Lebensjahr teils massive Straftaten von Jugendlichen bzw. Kindern begangen werden.

 

Anwalt Aktuell: Sie kennen die aktuelle Praxis im Strafvollzug für Jugendliche. Sind die für Sie okay?

 

Elena Haslinger: Auch hier müssen Expertinnen und Experten klären, wie dieses Umfeld ausgestattet sein muss, dass es beispielsweise zu keiner weiteren Radikalisierung der jugendlichen Straftäter kommt. Grundsätzlich sollte das Gefängnis für Jugendliche und Kinder möglichst nicht die Sanktion der Wahl sein..

 

Anwalt Aktuell: : Eine wichtige Frage beschäftigt mittlerweile bereits Generationen. Ich versuche es jetzt mit dem jüngsten Verantwortungsjahrgang – mit Ihnen: Wie halten Sie es mit dem Weisungsrecht der Justizministerin, des Justizministers?

 

Elena Haslinger: Wir werden hier an die Forderungen meiner Vorgängerin anknüpfen und uns weiterhin sehr stark für eine unabhängige staatsanwaltliche Weisungsspitze einsetzen. Das Problem ist und bleibt die Anscheinsproblematik. Allein dadurch, dass die Frau Ministerin ein Weisungsrecht hat, kann der Anschein entstehen, dass es Tür politische Einflussnahme auf die Staatsanwaltschaft  genützt wird oder genützt werden könnte. Aktuelles Beispiel: Eine Klimaschützerin wurde festgenommen. Vom Gericht wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der Untersuchungshaft abgewiesen. In weiterer Folge gab es die Weisung an die Staatsanwaltschaft, von einer Beschwerde gegen ihre Enthaftung Abstand zu nehmen. Da war sofort davon die Rede, dass die grüne Ministerin zugunsten der Verhafteten interveniert hätte. Das schadet dem Ansehen der Justiz, weil hier der Anschein entsteht, dass es politische Weisungen gibt. Wir fordern, dass Politik und Justiz ganz streng getrennt werden. Das würde beiden zugutekommen.

 

Anwalt Aktuell: Welches Modell bevorzugen Sie?

 

Elena Haslinger: Mit dem Abschlussbericht der Arbeitsgruppe zur Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Weisungsspitze liegt eine solide Basis für die Schaffung einer solchen vor. Die dort vorgeschlagenen Dreiersenate würden verhindern, dass eine einzelne Person der Einflussnahme verdächtigt werden kann. Damit wäre jede Weisungsentscheidung auf eine breitere Basis gestellt.

 

Frau Präsidentin, danke für das Gespräch.