„Lernen’S a bisserl Geschichte…“

 

 

 

 

 

 

 

SUCHTMITTEL VERGANGENHEIT. Ein Grazer und ein Regensburger Historiker betreiben einen der erfolgreichsten Podcasts im deutschsprachigen Raum. Ausgewählte Stücke ihrer Audio-Produktion sind nun auch als Buch erschienen. Selbst Geschichts-Muffel stöhnen: „Wenn ich nur aufhören könnte…“ 

 

Bereits die Signation des Podcasts ist Geschichte. Unterlegt mit „hatscherter“ Musik erklingt der legendäre Satz von Bruno Kreisky: „Lernen’S a bisserl Geschichte, dann werden’S sehen, wie sich das entwickelt hat, Herr Reporter…“ Ähnlich abgebürstet wie der damals vom Bundeskanzler blamierte Redakteur fühlten und fühlen sich Generationen von Schülern, wenn sie wieder einmal bei der Geschichte-Prüfung versagen. Da hat das Datum des punischen Krieges oder der Name eines Hunnenfürsten nicht gepasst – und schon wird das Minus notiert. Bis heute Standard im österreichischen „Bildungswesen“.

 

Der neue Zugang

Mag sein, dass die Herren Richard Hemmer (geboren in Graz) und Daniel Meßner (geboren in Regensburg) auch irgendwann in ihrer Schulzeit ähnliche Erfahrungen machten. Jedenfalls hat ihr Zugang zur Geschichte mit Zahlen- und Namen-Büffeln nichts mehr zu tun. Die beiden studierten Historiker haben einen Präsentationsstil entwickelt, der packend und einmalig ist. Das beginnt bei der Auswahl der Themen. Welcher Geschichtelehrer käme auf die Idee, über die Erfindung des Reißverschlusses zu referieren? Jede Wette: kein einziger im deutschen Sprachraum. Hemmer und Meßner machen das. Und zwar dermaßen spannend und interessant, dass man ihnen im Podcast gebannt eine Stunde lang zuhört. Es ist die jeweilige Perspektive, die sie auswählen, um ein Thema spannend aufzubereiten. Zum Beispiel, indem sie die Frage stellen, warum die Menschheit eigentlich eine genaue Uhrzeit gebraucht hat. Die Auflösung lautet hier: zur Vermeidung von Katastrophen in der Schifffahrt.

 

Geschichte als Erlebnis

Den Podcast haben die beiden Geschichte-Erzähler 2015 gegründet. Aktuell stehen sie (mit Redaktionsschluss) bei Folge 454. Da ist einiges zusammengekommen an Erlebnissen rund um die Welt. Im Buch erfahren wir beispielsweise, was für ein hartes Brett die Portugiesen bohren mussten, um mit den Chinesen ins Geschäft zu kommen. Man glaubt, die Mücken an den Flüssen zu spüren und kann sich gut vorstellen, wie der Kaiser betrunken über Bord geht und an einer Infektion verstirbt. Man erfährt, dass dieses Missgeschick die Kontaktnahme in Sachen Handel gleich um zwei Jahrhunderte verschiebt. Faszinierend ist die Plastizität der jeweiligen Erzählung, die auf einem hübschen Prinzip beruht: einer der beiden Historiker erzählt dem anderen eine Story, angeblich, ohne dass der andere das Thema kennt. So im Podcast. Dieser lockere und immer wieder dramatisch zugespitzte Erzählstil macht auch die geschriebenen Texte spritzig und spannend.

 

Abenteuer von Menschen

„Was uns im Zuge der Vorbereitungen für die Geschichten häufig beschäftigt, sind jene Menschen die die Welt bereist haben, aus welchen Gründen auch immer. Von solchen Menschen erzählen wir in diesem Buch. Von Menschen, die gefahren, gegangen, gesegelt oder geflogen sind – und die Welt  mit ihrem neuen Wissen verändert haben, mal mehr oder mal weniger“ schreiben die Autoren/ Podcaster in der Einleitung zu ihrem Buch. Es ist einfach toll, zu erfahren, dass sich die deutsche Industriellentochter Clärenore (!) Stinnes mit ihrem AGA-Auto 1927 auf den Weg machte, um die Welt zu umrunden – und tatsächlich 46 758 Kilometer auf den Tacho brachte, nach der Durchquerung von 23 Ländern in zwei Jahren. Eine Frau, kein Mann! Mit großen Augen und kindlicher Faszination folgt man den beiden Geschichte-Erzählern durch zahlreiche Reise-Abenteuer. Aber auch spannende Geschichten über den Forschergeist in den Naturwissenschaften sind dabei. Da erfährt man etwa, wie südamerikanischer Vogelkot zum teuer gehandelten Dünger der europäischen Landwirtschaft und zum Anlassprodukt der Forschung rund um Stickstoff und Ammoniak wurde. Oder Stichwort Biologie: Haben Sie im Geschichte-Unterricht erfahren, dass der bayrische Forscher Georg Wilhelm Steller einer Seekuh, die neun Meter lang war und irgendwann ausstarb, ihren Namen gab? „Geschichten aus der Geschichte“ ist genau jene Literatur, die man abends vor dem Einschlafen anstelle der Abendnachrichten (blaues Licht, Alarm!) portionsweise konsumieren sollte. Abenteuerlich angeregte Nachtruhe ist garantiert: „What a wonderful world!