„Das Signa-Modell war ein Schönwettermodel“

 

 

 

EINZELFALL? Rund um die Signa-Pleite stellen sich viele Fragen. Warum haben ausgefuchste Millionäre in das System investiert? Wer ist letztendlich verantwortlich? Hätten kritischere Medien das Desaster verhindert? Einige Antworten gibt der Innsbrucker Universitätsprofessor Leonhard Dobusch.

Univ. Prof. Dobusch Leonhard                                                                                                                                 Interview: Dietmar Dworschak  

 

Anwalt Aktuell: Mehrere reiche und sehr reiche Leute haben bei Signa investiert, obwohl sie keine Konzernbilanzen vorgelegt bekamen. Wie ist das zu erklären? 

 

Prof. Leonhard Dobusch: Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Wie wir inzwischen wissen, hat Benko vielen Investoren Verkaufsrechte, sogenannte ‚Put-Optionen‘ eingeräumt und damit den Eindruck erzeugt, sie könnten ähnlich wie bei einem börsennotierten Unternehmen selbstbestimmt ihr Investment wieder liquidieren. Hinzu kommt, dass Benko gezielt möglichst viele prominente Personen und Investoren in die Auslage gestellt hat, was zur wechselseitigen Beruhigung beigetragen haben dürfte. Und schließlich, der vielleicht wichtigste Grund: in Zeiten überaus niedriger Zinsen hat Signa jahrelang vergleichsweise hohe Renditen ermöglicht. Auch wenn es Zweifel an der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells gegeben haben mag, so haben gerade die erfahrensten Investoren offenbar geglaubt, rechtzeitig die Reißleine ziehen zu können.

 

Anwalt Aktuell: Banken und Versicherungen haben bei Signa investiert. Haben sie ausreichend geprüft, bevor sie eingestiegen sind?

 

Prof. Leonhard Dobusch: Sofern die Banken grundbücherlich abgesicherte Kredite in Höhe von rund 50 Prozent des konkreten Immobilienwerts vergeben haben, dürften sie halbwegs unbeschadet durch die Pleite kommen. Anders sieht es bei Versicherungen und Versorgungswerken aus, die zum Beispiel in hochriskante Genussscheine investiert haben. Hier stellt sich rückblickend natürlich schon die Frage, wieso die nicht auf einer konsolidierten Konzernbilanz bestanden und sich stattdessen mit Einzelabschlüssen dutzender Gesellschaften zufrieden gegeben haben. 

 

Anwalt Aktuell: Es wird berichtet, dass viele wesentliche Verträge von Benko persönlich verhandelt, jedoch von Signa-Mitarbeitern unterschrieben wurden. Ebenfalls war bekannt, dass Benko im Unternehmen keine operative Funktion hatte. Wer ist schlussendlich verantwortlich?

 

Prof. Leonhard Dobusch: Es ist inzwischen relativ klar, dass René Benko als mutmaßlich-faktischer Geschäftsführer die Hauptverantwortung nicht nur für die Pleite, sondern auch mögliche strafrechtlich relevante Tatbestände wie Untreue oder betrügerische Krida trägt. Jene Mitarbeiter wie Marcus Mühlberger oder Manuel Pirolt, die formal als Geschäftsführer und Vorstand in diversen Gesellschaften tätig waren, sind aber natürlich ebenfalls mitverantwortlich und müssen als mutmaßliche Beitragstäter auch mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Es gilt selbst verständlich für alle Genannten die Unschuldsvermutung.

 

Anwalt Aktuell: Wie und wohin konnte so viel Geld verschwinden, wie es nun bei den Konkursverfahren eingefordert wird? Geht es hier um buchhalterische Werte oder um echtes Geld? 

 

Prof. Leonhard Dobusch: Zunächst wurden über viele Jahre hohe Dividenden ausgeschüttet und an zahlreiche Beteiligte hohe Gebühren und Vergütungen ausgezahlt. Das Geld ist unwiederbringlich weg. Ansonsten ist es so, dass es natürlich um echtes Geld geht: denn die aufgeblasenen Bewertungen der Gebäude wurden ja zur Besicherung von Krediten verwendet, mit denen dann wiederum Immobilien gekauft wurden. Da floss natürlich ‚echtes Geld‘. 

 

Anwalt Aktuell: Hätte die Signa-Idee funktioniert, wäre es nicht zu den massiven Zinsanhebungen durch die Europäische Zentralbank gekommen? 

 

Prof. Leonhard Dobusch: Das Signa-Modell war ein Schönwettergeschäftsmodell, das auf niedrige Zinsen und steigende Immobilienpreise angewiesen war. Irgendwann beginnt es aber immer zu regnen, sprich entweder steigen die Zinsen wieder oder Wirtschaftskrisen wie die letzte Finanzkrise 2008 sorgen für sinkende Immobilien preise. Mit anderen Worten, das Signa-Geschäft hätte ohne Zinsanhebung noch einige Jahre weiterlaufen können, irgendwann aber wäre es jedenfalls zu einer existenziellen Krise gekommen. Das Geschäftsmodell war nicht nachhaltig.

 

Anwalt Aktuell: Wie stark haben die Medien mit geholfen, ein Bild zu zeichnen, dass es auch in Österreich möglich ist, ein Erfolgsunternehmer von internationalem Format zu werden? 

 

Prof. Leonhard Dobusch: Mein Eindruck ist, dass es in Österreich vor allem an kritischem Wirtschaftsjournalismus fehlt. Die Beziehungen zur Politik wurden bei Benko durchaus kritisch begleitet. Das Geschäftsmodell aber wurde viel zu wenig hinterfragt. 

 

Anwalt Aktuell: Fehlt dem österreichischen Wirtschaftsjournalismus das investigative Element, wie es der legendäre Profil-Journalist Alfred Worm noch darstellte? 

 

Prof. Leonhard Dobusch: In der Tendenz würde ich dem zustimmen, wobei es mit Sebastian Reinhart und Rainer Fleckl natürlich auch hier Ausnahmen gibt. Es ist wirklich beeindruckend, was die beiden in ihren Recherchen zu Signa alles ans Tageslicht gefördert haben.

 

Anwalt Aktuell: Was für eine Rolle spielte der „Beirat“ für die Entwicklung von Signa? Haben die darin versammelten honorigen Persönlichkeiten an Unternehmensentscheidungen mitgewirkt – oder wie kann man sich ihre Funktion vorstellen? 

 

Prof. Leonhard Dobusch: Der Beirat spielte insofern eine wichtige Rolle, als er zwei Funktionen erfüllte: Einerseits sorgte die Prominenz der Mitglieder für Vertrauen unter bestehenden und potenziellen Investoren. Andererseits erzeugte seine Platzierung auf der Homepage den Ein druck einer einheitlichen Aufsicht über die Signa- Gruppe, während man gleichzeitig eine konsolidierte Bilanz tunlichst vermieden hat. Was man dabei allerdings verschwiegen hat ist, dass der Beirat gesellschaftsrechtlich laut Geschäftsordnung „ausschließlich beratende Funktion und […] weder Geschäftsführungs- und Überwachungsaufgaben noch sonstige Entscheidungskompetenzen“ haben sollte. Er diente also quasi als Legitimationsfassade.

 

Anwalt AktuellSystemisch gefragt: Ist der Immobilienmarkt nach den Signa-Pleiten weiterhin anfällig für ähnliche Stories? Mit welchen neuen Regeln könnte dies verhindert werden?

 

Prof. Leonhard Dobusch: Ja, der Immobilien markt ist weiterhin anfällig, Signa auch kein Einzelfall. Im deutschsprachigen Raum gab es seit der Wende in schöner Regelmäßigkeit alle 15 Jahre eine riesige Immobilienpleite: Jürgen Schnei der Mitte der 1990er Jahre, Cevdet Caner mit Level One 2008 und jetzt René Benko mit Signa. In allen drei Fällen spielte aufwertungsbasierte Kreditvergabe eine Rolle. Hier gibt es bei den europäischen Kapitalunterlegungsvorschriften für Banken seit Beginn dieses Jahres etwas strengere Regeln. Ansonsten wäre es aber sinnvoll, ähnlich wie in Frankreich oder den Niederlanden, Immobiliengesellschaften als eigene Rechtsform zu etablieren und strenger zu regulieren. Dann könnte man zum Beispiel gezielt für Unternehmen, deren Vermögen und Einkommen primär von Immobilien stammt, die Umgehung von Grunderwerbssteuern über sogenannte „Share Deals“, also den Verkauf von Gesellschaftsanteilen statt der Immobilie selbst, verhindern. Das hätte auch antizyklische Effekte, weil gerade in Boomphasen besonders viel hin- und herverkauft wird.

 

Herr Prof. Dobusch, danke für das Gespräch