Hockey SLAPP Stick

Stephen M. Harnik ist Vertrauensanwalt der Republik Österreich in New York. Seine Kanzlei Harnik Law Firm berät und vertritt unter anderem österreichische Unternehmen in den USA. (www.harnik.com) 

Vor knapp einem Monat erregte ein Nachruf auf Ray Jenkins, der am 24. Oktober im Alter von 89 Jahren verstorben ist, meine Aufmerksamkeit. Jenkins gelangte 1960 als 30-jähriger Redakteur des Alabama Journal mit Schwerpunkt auf Bürgerrechte zu einiger Berühmtheit.

Stephen M. Harnik

 

Dies insbesondere mit einem Artikel zu einem Zeitungsinserat, das er in einer der wenigen damals in Alabama verfügbaren Ausgaben der New York Times (die Gesamtauflage im Staat betrug damals weniger als 400 Exemplare) gesehen hatte. Das eine ganze Seite umfassende Inserat mit dem Titel “Heed Their Rising Voices”, welches von Kalibern wie Eleanor Roosevelt und dem legendären ersten schwarzen Baseballspieler, Jackie Robinson, ein­gestellt wurde, rief zu Spenden für Martin Luther King Jr. auf, der sich zu diesem Zeitpunkt vor ei­nem Gericht in Alabama aufgrund seines Bürger­rechts-­Aktivismus verantworten musste. In dem Inserat wurden die Beamten der Stadt Montgo­mery City, Alabama, scharf kritisiert. Jenkins ver­fasste daraufhin einen kurzen Beitrag im Alabama Journal, in dem er auf das Inserat verwies und gleichzeitig auch einige darin enthaltene sachliche Fehler, die im aufgefallen waren, korrigierte. Ob­wohl im Inserat keiner der kritisierten Beamten namentlich genannt wurde, empörten sich diese darüber, dass das Inserat implizit ihrem Rufscha­den würde. Eine Gruppe dieser Beamten rund um Montgomery Police Commissoner L.B. Sullivan reichte in der Folge eine Verleumdungsklage gegen die New York Times ein, obwohl sich letztere be­reits offiziell für die sachlichen Fehler entschuldigt und die Herausgabe in Alabama ganz gestoppt hatte. Die Jury in Alabama gab den Beamten trotz­dem Recht und verurteilte die New York Times zu einer Strafzahlung von $ 500.000 an Sullivan und dessen Kollegen. Die Times ging in Berufung und New York Times v. Sullivan (1964) landete schließlich vor dem amerikanischen Supreme Court, welcher daraufhin ein wegweisendes Urteil in Sachen Rede­ und Meinungsfreiheit fällte. Das Höchstge­richt hob die Entscheidung auf und urteilte, dass eine strafbare Verleumdung nur dann erwiesen ist, wenn die betroffenen Beamten beweisen können, dass die fälschliche Anschuldigung mit nachweis­licher Boshaftigkeit (“actual malice”) erbracht wurde – also mit dem Wissen, dass die Anschuldi­gung falsch war, oder unter rücksichtsloser Miss­achtung der Frage, ob sie wahr ist. Jenkins selbst berichtete übrigens nach dem Er­scheinen des besagten Berichts von seinem Inter­view mit Martin Luther King Jr. Letzterer teilte ihm mit, dass er es bemerkenswert finde, dass King als Nachkomme von Sklaven und Jenkins als Nach­komme von Sklavenbesitzern mittlerweile bei­sammensitzen und sich unterhalten können.

Jen­kins bat King diesen Gedanken beizubehalten – und in der Tat träumte King wenig später 1963 in seiner monumentalen “I have a Dream” Ansprache vor dem Lincoln Memorial “that one day on the Red Hills of Georgia, sons of former slaves and the sons of former slave owners will be able to sit down together at the table of brotherhood”. Der Sullivan Fall ist aktuell für den Supreme Court im Fall Competitive Enterprise Institute v. Mann von Relevanz. Ursprung dieser Rechtssache ist die Klage von Dr. Michael E. Mann, Paläoklimatolo­ gieprofessor an der Penn State University und lautstarke Stimme der Warnung, dass der Klima­ wandel vom Menschen verschuldet ist. Mann ist Urheber einer Studie die anhand der Analyse von aus Korallen, Bäumen und Eisschichten gewonn­ener Proben versucht, die Temperaturentwicklun­gen der letzten 600 Jahre darzustellen. Der wohl wichtigste Befund der Studie ist, dass die Tempe­raturniveaus zwischen 1400 und 1900 relativ gleichgeblieben, mit der industriellen Revolution dann aber stark angestiegen sind. Wie ein anderer Wissenschaftler anmerkte, ähnelt das von Mann erstellte Temperaturdiagramm demnach der Form eines Eishockeyschlägers – seitdem wird das Er­gebnis der Studie auch als Hockey Stick bezeich­net. Kurz vor der Kopenhagener Klimakonferenz im Jahr 2009 sah sich Mann allerdings mit öffent­licher Kritik konfrontiert, nachdem aufgrund einer Cyberattacke auf die Climatic Research Unit der East Anglia University in England tausende von Emails zwischen Paläoklimatologen an die Öffent­lichkeit gelangten. In manchen dieser E-Mails wurde Manns Hockey Stick hinterfragt, was von Leugnern des Klimawandels natürlich gleich auf­ gegriffen wurde um eine Überprüfung der Studie und von Manns wissenschaftlicher Methodik zu fordern. Diese im Rahmen des sog. Climategate geforderte Untersuchung wurde auch von acht verschiedenen Forschungsgruppen durchgeführt - allesamt befanden Manns Studie schlussendlich für glaubwürdig. In etwa zur gleichen Zeit wurde Jerry Sandusky, Trainer des Penn State University Footballteams, wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Der Univer­sitätsleitung wurde vorgeworfen das Verhalten Sanduskys bewusst ignoriert zu haben. Klimawan­ delleugner und Kolumnist des konservativen Ma­ gazins National Review, Mark Steyn, kritisierte daraufhin Penn State, die Kritik an der Hockey Stick Studie Michael Manns ebenso wie die Anschuldigungen gegen Sanduskys bewusst ignoriert zu haben. In seinem Artikel zitierte er auch einen anderen Klimawandelleugner und Blogger für das Competitive Enterprise Institute (CEI), Rand Sim­berg, der Mann als “Jerry Sandusky of climate science” bezeichnet und Manns Methodik wie folgt beschrieben hatte: “he has molested and tortured data in service of politicized science”. Verständli­cherweise war Mann über diese Gleichstellung entrüstet, es folgte also eine Verleumdungsklage gegen CEI, National Review, Simberg und Steyn. So mancher Leser wird sich vielleicht noch an mei­nen Artikel über die sog. Anti­SLAPP Statutes er­innern (Ausgabe 4/18, September 2018). Wie dar­in beschrieben ist “SLAPP” ein Apronym für “Stra­ tegic Lawsuits Against Public Participation”, d.h. eine strategische Klage zur Vermeidung von Öf­fentlichkeitsbeteiligung. Gesetze, die diese Form der Klageführung verbieten, gibt es nur in ca. der Hälfte der US-­Bundesstaaten. Sie entstammen der im ersten Zusatzartikel der amerikanischen

Ver­fassung verankerten Redefreiheit und dienen der Vorbeugung von Klagen und Gerichtsverfahren, die nur der Einschüchterung des Redners dienen und somit die freie politische Meinungsäußerung eindämmen, insbesondere wenn Personen oder Themen von öffentlichem Interesse betroffen sind. Anti­-SLAPP erlaubt dem Gericht eine Schnell­abwicklung und ­abweisung eines Zivilverfahrens, sofern im Rahmen einer richterlichen Abwägung der Klagegründe ohne Zweifel feststeht, dass die Klage dazu dient den Redner durch die mit einem Prozess verbundenen Kosten und den Arbeitsauf­ wand mundtot zu machen. (Hierzu möchte ich den Lesern auch den kürzlich erschienenen Beitrag von John Oliver in seiner Comedy Show “Last Week To­night” ans Herz legen https://www.youtube.com/ watch?v=UN8bJb8biZU. Achtung: Vulgarismen) In Michael Manns Fall hatten sich die beklagten Parteien auf das SLAPP Statute des District of Co­ lumbia berufen und eine Schnellabweisung der Klage gefordert, da es sich bei der Klimaforschung zweifelsohne um ein Thema von öffentlichem In­teresse handelt. Diesen Antrag wies der District Court aber zurück und entgegnete, dass die Geschworenen in dieser Sache urteilen könnten, dass es sich bei den besagten Aussagen nicht um eine Kritik seiner Studie, sondern um persönliche

An­schuldigungen gegen Mann handelte, wonach dieser akademische und wissenschaftliche Verfeh­lungen begangen habe, oder in den Worten des District Court: “pointed accusations of personal wrongdoing by Dr. Mann, not simply critiques of  methodology of his well-known published scientifc research”. Daher könnten diese Behauptungen von einer Jury möglicherweise als nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen charakterisiert werden, insbesondere weil mehrere unabhängige Studien zu dem Schluss gekommen sind, dass es hier keine Verfehlungen gab. Die Geschworenen könnten außerdem urteilen, dass National Review, CEI, Simberg und Steyn hier mit Böswilligkeit agierten, da sie selbst als äußerst engagierte Teilnehmer an der Klimawandeldebatte agieren und es somit ein Motiv für die Verleumdung Manns geben könnte. National Review, CEI, Simberg und Steyn gingen daraufhin unter Verweis auf die Entscheidung New Times v. Sullivan in Berufung. Nachdem die Entscheidung durch die Zwischeninstanz bestätigt wurde, muss sich nun der Supreme Court mit der Rechtsfrage befassen. Meiner Ansicht nach ist die Entscheidung des District Court vertretbar, aller­dings sollte man hinzufügen, dass Mark Steyn nur deshalb auch geklagt wurde, weil er Simbergs Charakterisierung Manns in seiner Kolumne zitiert hatte. Tatsächlich bestand sein Kommentar haupt­sächlich aus einer Kritik der Penn State University die weder die Beschuldigungen gegen Sandusky, noch gegen Mann geprüft hatte. So schreibt Steyn: “Whether or not he’s ‘the Jerry Sandusky of climate change’,[wie Simberg ihn bezeichnetete] he remains the Michael Mann of climate change, in part becau­ se his ‘investigation’ by a deeply corrupt adminis­ tration was a joke.”  Und obwohl ich Steyns Position nicht teile, so muss ich trotzdem zugeben, dass er mich mit seinem Artikel zum Lachen gebracht hat, denn er beschriebt Mann als “…the man behind the fraudulent climate­change ‘hockey stick’ graph, the very ringmaster of the tree­ring circus” (hierbei han­delt es sich um ein Wortspiel abgeleitet von dem in den USA berühmten Three Ring Circus und den Verweis auf Manns Analyse von Baumringen).