„Wir fordern die Durchlässigkeit der Pensionssysteme“

 

 

 

 

 

 

 

ÖRAK-Präsident Dr. Armenak Utudjian erläutert im Gespräch mit Anwalt Aktuell die Forderung nach einer Anrechnung von Pensionsversicherungszeiten und gibt einen Ausblick auf die diesjährige Europäische Präsidentenkonferenz

Dr. Armenak Utudjian                                                                                                                                                                           

Anwalt Aktuell: Sehr geehrter Herr Präsident, die Regierungsverhandlungen laufen nun seit mehreren Monaten und noch immer gibt ec keine neue Bundesregierung. Wie beurteilen Sie die Situation angesichts der zahlreichen Herausforderungen, vor denen die Republik derzeit steht?

 

Dr. Armenak Utudjian: In der Politik ist es nicht anders als bei der Schi-WM: Am Ende zählen die Ergebnisse. Der ÖRAK hat ein sehr umfangreiches Papier mit zahlreichen Verbesserungsvorschlägen für die neue Gesetzgebungsperiode ausgearbeitet, das wir in den letzten Wochen und Monaten allen politischen Parteien detailliert vorgestellt haben. Ich habe den Eindruck, dass allen der Ernst der Lage bewusst ist und hoffe, dass einige unserer Empfehlungen umgesetzt werden. 

 

Anwalt Aktuell: Welches Thema liegt der Rechtsanwaltschaft derzeit am meisten am Herzen?

 

Dr. Armenak Utudjian: Grundsätzlich geht es uns natürlich immer um die Aufrechterhaltung und den Ausbau des Rechtsstaates, weil er unsere Berufsgrundlage darstellt. Im Detail gibt es aber einige Bereiche, die ganz besonders verbesserungswürdig sind. Ich denke vor allem an die nach wie vor nicht vorhandene volle Durchlässigkeit zwischen dem staatlichen und unserem eigenen Pensionssystem. 

 

Anwalt Aktuell: Worin besteht genau das Problem und welche Lösung fordern Sie?

 

Dr. Armenak Utudjian: So gut wie alle Kolleginnen und Kollegen haben im Rahmen ihrer beruflichen Laufbahn Versicherungszeiten im staatlichen Pensionssystem erworben, jedoch erreichen die meisten nicht die dort vorgesehene 15-jährige Wartezeit. Eine Juristin, die beispielsweise zehn Jahre lang in einem Unternehmen tätig war und sich nun für den Rechtsanwaltsberuf entscheidet, fängt in puncto Versicherungszeiten de facto wieder bei null an, da sie keine staatliche Pension erhalten wird. Das ist ein untragbarer Zustand. Wir fordern daher eine Anrechnung der in unserem System erworbenen Versicherungszeiten auf die Wartezeit im staatlichen System. Das würde dazu führen, dass dort erworbene Versicherungszeiten nicht mehr verloren gehen, sondern zu einem Pensionsanspruch führen, sofern insgesamt die erforderlichen Versicherungszeiten angesammelt wurden. Ich erhoffe mir von der nächsten Bundesregierung, dass sie diesen Missstand endlich behebt.

 

Anwalt Aktuell: In der jüngsten Vergangenheit wurde vermehrt über die Ressourcenknappheit in der Justiz berichtet. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

 

Dr. Armenak Utudjian: Die österreichische Justiz arbeitet im europäischen Vergleich effizient, wie die CEPEJ-Studie 2024 des Europarats zeigt. Dennoch gibt es Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf personelle und finanzielle Ressourcen. Es ist besorgniserregend, dass trotz einer Gebührendeckung von über 100 Prozent die Mittel der Justiz nicht reichen, um wichtige Reformen anzustoßen. Wir fordern daher eine gerechte Mittelverwendung und eine Reform der Gerichtsgebührenstruktur, um die Justiz nachhaltig zu stärken.

 

Anwalt Aktuell: Ende Februar veranstaltet der ÖRAE traditionell die Europäische Präsidentenkonferenz der Rechtsanwaltsorganisationen in Wien. Welches Thema wird in diesem Jahr behandelt?

 

Dr. Armenak Utudjian: Die Europäische Präsidentenkonferenz hat sich über Jahrzehnte zu einem bedeutenden think tank entwickelt und konnte in der Vergangenheit schon mehrmals wichtige Impulse in der europäischen Rechtsentwicklung setzen. Sie ist aber auch eine Plattform für den Meinungs- und Gedankenaustausch sowie für den Abbau von Informationsdefiziten und für die Festlegung von Strategien innerhalb der europäischen Rechtsanwaltschaft. Wir werden uns dieses Jahr mit dem Thema „Deregulierung und Rechtsstaatlichkeit: Chance oder Gefahr?“ auseinandersetzen und versuchen aufzuzeigen, wo Deregulierung gut und notwendig ist, wollen aber auch festmachen, wo ihre Grenzen sind, um die Rechtsstaatlichkeit nicht zu gefährden. Deregulierung ist immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits kann sie Erleichterungen schaffen und Innovation fördern. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Qualität darunter leidet und der Schutz der Mandantinnen und Mandanten beeinträchtigt wird. Wir setzen uns daher für eine maßvolle Deregulierung ein, die sowohl Innovationen ermöglicht als auch die hohen Qualitätsstandards unseres Rechtssystems sicherstellt.