KOMMENTAR. Rund sechs Jahre haben 20 Autorinnen und Autoren am neuen Kommentar zum Verbandsverantwortlichkeitsgesetz gearbeitet. Bernd Wiesinger, Initiator des Werkes, sieht in dem 2006 beschlossenen Gesetz einen „Gamechanger“, der an einigen Stellen noch verbessert werden könnte.
Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer,
OGH-Richter HR Dr. Clemens Oberressl
RA Dr. Bernd Wiesinger
Anwalt Aktuell: Für wie wichtig halten Sie die Einführung des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes im Jahr 2006?
Bernd Wiesinger: Das war ein absoluter Gamechanger, weil bis 2005 der Grundsatz galt und in vielen Staaten immer noch gilt: strafrechtlich verantwortlich können nur natürliche Personen sein. Diese grundsätzlich neue Perspektive wurde lange nicht in die Praxis umgesetzt. Mehrfach war es nötig, das Schuldprinzip beim Verfassungsgerichtshof klären zu lassen. Die gesetzliche Neuerung bedeutete ja, dass nun auch Verbände und Unternehmen auf einmal strafrechtlich verantwortlich sein und vor Gericht gestellt werden können, sich dort rechtfertigen müssen und am Ende des Tages auch zur einer Verbandsgeldbuße verurteilt werden können.
Anwalt Aktuell: Inwieweit hat sich damit die Gerichtsbarkeit verändert?
Bernd Wiesinger: In den zehn Jahren nach 2006 konnte man beobachten, dass das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz in ganz kleinen Schritten immer mehr durchgedrungen ist. Anfangs war es eine eher exotische Materie, doch mittlerweile, so ist mein Eindruck, gehört dieses Gesetz zum Standardrepertoire. Zumindest für jene Richterinnen und Richter, die mit Wirtschaftsstrafrecht und Finanzstrafrecht zu tun haben.
Anwalt Aktuell: Gemeinsam mit 20 Autoren Ihres Kommentars haben Sie sicher auch herauszufinden gesucht, ob das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz so sauber und klar formuliert ist, dass es dazu keine offenen Fragen mehr gibt?
Bernd Wiesinger: Das soll jetzt nicht in einen umfassenden Vorwurf gegen die Legistik ausarten…Es war damals sicher nicht leicht, so ein Gesetz zu formulieren. Das war ein schwieriger Prozess. Da gab es einige EU-Richtlinien, die umzusetzen waren. Natürlich kann bei so einem Gesetz nicht immer alles glücken. Es gibt viele Bestimmungen, die lange Zeit unklar waren, die die Rechtsprechung erst klären musste, und es gibt nach wie vor Dinge, über die man in der Praxis nicht glücklich ist. Ein banales Beispiel ist die Urteilsverkündung:
Das Gesetz sieht vor, dass ein Richter – wenn es um eine angeklagte Person und einen angeklagten Verband geht – zwei Urteile sprechen muss. In der Praxis ist das für die Menschen, die im Gerichtssaal sitzen, schwer verständlich, dass zuerst die Schlussplädoyers betreffend die natürliche Person geführt werden und sich der Senat dann zurückzieht, um das Urteil betreffend die natürliche Person zu fällen, insbesondere wenn die natürliche Person geständig ist. Da wird das Urteil dann verkündet, und dann steht man wieder auf und hält die Schlussvorträge betreffend den Verband, worauf sich der Senat wieder zurückzieht und das Urteil für den Verband verkündet. In der Praxis ist das den Mandanten schwer zu erklären, warum wir da so eine Show machen, wenn eh klar ist, wie’s ausgeht.
Anwalt Aktuell: Wie ist dieser neue Kommentar zum Verbandsverantwortlichkeitsgesetz aufgebaut?
Bernd Wiesinger: Die ausführliche Kommentierung der 28 Paragrafen des VbVG soll Leserinnen und Leser gezielt an die jeweils gesuchte Problemlösung heranführen und gleichzeitig durch eine Vielzahl von Querverweisen einen Gesamtüberblick herstellen. Ausführliche Vor- und Nebenbemerkungen stellen darüber hinaus einerseits den internationalen Konnex her und behandeln andererseits die immer stärker werdende Bedeutung des VbVG für Compliance- und Rechtsabteilungen.
Anwalt Aktuell: Glauben Sie, dass Ihr Buch im Regal der WKStA ganz vorne steht?
Bernd Wiesinger: Ich bin leider so selten in der Bibliothek der WKStA. Ich bin mir aber sicher, dass das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz dort einen sehr hohen Stellenwert hat, weil es dort in 50 Prozent der Fälle, oder sogar mehr, Anklagen gibt, die das VbVG beinhalten.