Recht und Ethik im Kontext vorhersagebasierter Modelle der Kriminalitätsbekämpfung

 

„Predictive Policing“, also die Verwendung von Algorithmen zur Vorhersage von Kriminalität, stellt auch in Österreich eine zunehmende Herausforderung für das Zusammenspiel von Recht und Digitalisierung dar. Während moderne Technologien in der Lage sind, Muster und Trends aus großen Datensätzen zu extrahieren, um mögliche Kriminalitätsherde vorherzusagen, werfen diese Methoden bedeutende rechtliche und ethische Fragen auf. Jedenfalls eröffnet sich ein Spannungsfeld zwischen Innovation, Technikfolgenabschätzung und Rechtsstaatlichkeit. Dabei ist es entscheidend, klare Richtlinien zu entwickeln, die sowohl den Nutzen digitaler Technologien als auch den notwendigen Schutz individueller Freiheiten gewährleisten.

Mag. Dr. Marlon Possard, MSc, MA                                                                                                                                                       

 

Vorausschauende Polizeiarbeit in Österreich: Eine Bestandsaufnahme Predictive Policing kann als typisches Einsatzgebiet von Big Data verstanden werden. Dabei nutzt die Polizeibehörde große Datenmengen aus Kriminalstatistiken und sozialen Analysen, um potenzielle Orte und Zeitpunkte für Verbrechen vorherzusagen. So können die Behörden problematische Bereiche erkennen und entsprechend handeln.1 In Österreich werden zum Status quo bereits einige Instrumente für eine effektive und wirkungsvolle Kriminalitätsvorhersage und die damit verbundene Bekämpfung seitens des Bundeskriminalamtes (BKA) verwendet (wie etwa die Software „Precobs“, die u. a. der Einbruchsprävention dienen soll2 ). Darunter fallen beispielsweise die Auswertung von diversen Statistiken und Daten mit inkludierten Mustererkennungstechnologien, um die Begehung von Straftaten bereits frühzeitig erkennen und bestenfalls verhindern zu können (bspw. Delikte nach den §§ 125, 129, 142, 169 StGB3 ). Gegenwärtig werden etwa bereits sog. „Crime Maps“ eingesetzt, die gezielt bestimmte Bereiche skizzieren, in denen eine hohe Tendenz im Rahmen der Begehung von Straftaten vorliegt. Ziel der Predictive-Policing-Maßnahmen ist es, die Prävention im Bereich der Kriminalitätsverwirklichung und -bekämpfung zu stärken. Dies kann mitunter durch die Erhöhung der polizeilichen Arbeit in Problemgebieten verwirklicht werden. Aufgrund der bereits angeführten und durchführbaren Mustererkennung, die mit einer speziellen Technologie ausgestattet ist, eignet sich dieses polizeiliche und prognosegestützte Hilfsmittel im Speziellen für jene Straftaten, die von Täter:innen ausgeführt werden, die bereits mehrfach gesetzeswidrig gehandelt haben.4 Seit dem Jahr 2019 ist es außerdem möglich, die Kriminalitätsvorhersage anhand einer sog. „Risk-Terrain-Analyse“ durchzuführen. Diese Vorgehensweise besagt, dass dabei auch Informationen aus öffentlichen Quellen miteinbezogen werden, wie etwa über das Einkommen von bestimmten Personenkreisen. Eine weitere Technik im Kontext der Polizeiarbeit bildet die sog. „Near-Repeat-Analyse“, die sowohl die Zeit als auch die Örtlichkeit von Straftaten systematisch erfasst. Dieses Verfahren hilft vor allem bei der Herstellung von geografischen, räumlichen und zeitlichen Bezügen von Kriminalität.5 Dass die Arbeit des BKA auf diesen Gebieten interdisziplinär erfolgt, zeigen die Mitarbeiter:innen und ihre unterschiedlichen Ausbildungen auf (z. B. Soziolog:innen, Kriminolog:innen).

 

Ethische Problemfelder bei der Anwendung von Kriminalitätsvorhersagen

Mit den technologisierten Mechanismen der algorithmenbasierten Polizeiarbeit und der Hotspot-Analyse von Straftaten ist es darüber hinaus möglich, kriminelle Aktivitäten in enger Kooperation mit anderen polizeilichen Abteilungen bzw. Institutionen zu minimieren. Die wesentlichen Intentionen, die seitens des BKA mit den intelligenten Systemen verfolgt werden, können primär in drei Kategorien zusammengefasst werden: (1) Verbesserung der gesamtgesellschaftlichen Situation in Bezug auf die Straftatenbekämpfung, (2) Intensivierung der öffentlichen Sicherheit und (3) Förderung und Ausbau des Schutzes der Bürger:innen. Bei der Implementierung und Anwendung solcher Methoden ist es jedoch gleichzeitig relevant, (zukünftige) Fragen des Datenschutzes und der Privatsphäre von Personen und in allen Belangen die Verhältnismäßigkeit (Stichwort: Ultima Ratio) zu beachten, um missbräuchliche Verwendungen 6 effizient vermeiden zu können. Da die intelligenten Systeme immer weiter ausgebaut und verbessert werden, muss sichergestellt werden, dass Instrumente des Predictive Policing auf exakten rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen basieren. Moderne Technologien, wie sie in dieser Form zur Kriminalitätsprävention und -bekämpfung dienlich sein sollen, müssen zwar sukzessive an gesellschaftliche Entwicklungen angepasst werden, dennoch dürfen von diesen Analysen keine Gefahren für grundrechtliche Aspekte ausgehen. Auch innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion wird häufig dafür appelliert, unter Einhaltung einer verstärkten Transparenz erfolgen muss, insbesondere aufgrund möglicher Ungleichbehandlungen oder Datenverzerrungen (u. a. in Zusammenhang mit „Racial Profiling“).

Letztere Gesichtspunkte fußen meist auf historischen Kriminalitätsdaten, die bestimmten Mustern (z. B. Ethnie, sozialer Status) folgen können. Wenn beispielsweise bestimmte Bevölkerungsgruppen in der Vergangenheit unverhältnismäßig stark kriminalisiert wurden, können diese Verzerrungen in den Algorithmen fortbestehen und zu einer systematischen Benachteiligung führen (z. B. im Rahmen einer überproportional starken Überwachung ebendieser Gruppierungen). Insgesamt erfordert die Anwendung von Kriminalitätsvorhersagen daher im Besonderen eine sorgfältige Abwägung der ethischen Implikationen.

 

„Predictive Policing“ und die Rolle des Rechts

Die vorausschauende Polizeiarbeit kann grundsätzlich als erlaubtes Instrument polizeilicher Arbeit i. S. d. § 28a Abs. 2 SPG eingeordnet werden.7 Sie steht darüber hinaus in enger Verbindung zu Fragen des Datenschutzes. § 1 DSG stellt zunächst den verfassungsrechtlichen Schutz der Verarbeitung personenbezogener Daten sicher. § 1 Abs. 1 DSG zielt zudem auf die Geheimhaltung personenbezogener Daten ab, sofern hierfür ein bestehendes Interesse an deren Schutz vorliegt. In allen Belangen muss außerdem die Verhältnismäßigkeit der datenschutzrechtlichen Eingriffe Beachtung finden. Bei Eingriffen solcher Art müssen überdies die Bestimmungen nach Art. 8 EMRK, Art. 9 StGG und Art. 7 GRC berücksichtigt werden.9 Dies trifft stricto sensu auch auf Maßnahmen der vorhersagebasierten Polizeiarbeit zu, v. a. im Kontext ungerechter oder nicht durchschaubarer Algorithmen. Mit der Einführung der nunmehrigen KI-VO wurden auch Änderungen im Rahmen des Predictive Policing geschaffen. 

Die KI-VO selbst kann als ein rechtliches Instrument klassifiziert wer den,, das auf die Schaffung von Transparenz, auch im Sektor des Predictive Policing, abzielt. Der risikobasierte Ansatz, den die VO und ihre KI-Harmonisierung verfolgt, verpflichtet zu einer stärkeren von div. KI-Systemen, die von hohen Gefahren für Menschen und ihre Grundrechte umgeben sind. Das Ziel: Die Förderung der Vertrauenswürdigkeit von KI-Systemen. Vor der Veröffentlichung der KI-VO war jedenfalls unklar, ob darunter auch Maßnahmen der vorausschauenden Polizeiarbeit zu subsumieren sind. Mit der Implementierung der KI-VO wurden erstmals auch verbotene KI-Praktiken reguliert. Art. 5 KI-VO ordnet Predictive Policing als eine solche verbotene Praktik ein, sofern die algorithmische Polizeiarbeit nur auf dem jeweiligen Persönlichkeitsprofil, auf den biometrischen Daten oder auf bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen basiert. Es handelt sich dabei also lediglich um jene Form der vorhersagebasierten Polizeiarbeit, die auf personenbezogenen Daten beruht. Ausgenommen sind in diesem Zusammenhang ortsbezogene Ermittlungstaktiken (z. B. die Auswertung von Daten, die bestimmte Orte mit einer erhöhten Erwartung in Bezug auf die Begehung von Straftaten lokalisieren) Aus Sicht des Rechts gilt: Jene Bereiche, die aufgrund der Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) die Sphäre von Grundrechten berühren, sollten durch den Gesetzgeber – unter Einbeziehung der Gesellschaft – eine striktere juristische Anpassung erfahren,10 selbst wenn ortsbezogene Predictive-Policing-Maßnahmen nicht vom Verbot nach Art. 5 KI-VO umfasst sind. Das bloße Generieren von ortsbezogenen Daten für die polizeiliche Arbeit und Praxis greift zum Status quo jedenfalls nicht in grundrechtliche Bereiche der Gesetzesunterworfenen ein, dennoch fehlen weiterhin nationale Bestimmungen betreffend die Schaffung von Rechtssicherheit in diesem sensiblen Sektor.

 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Predictive Policing in Österreich ein zukunftsweisendes, aber durchaus auch ein kontrovers diskutiertes Instrument darstellt. Um die vorhersagebasierte Polizeiarbeit in Österreich verantwortungsvoll weiterzuentwickeln, müssen klare ethische und rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden. Eine transparente und datenschutzkonforme Gestaltung der Systeme ist ebenso wichtig wie die kontinuierliche Überwachung und Anpassung der eingesetzten Technologien und die regelmäßige Evaluierung der gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen zu KI. Die vorausschauende Polizeiarbeit hat in den letzten Jahren in Österreich jedenfalls eine zunehmende Bedeutung erlangt. Durch die Nutzung datenbasierter Technologien und analytischer Modelle wird versucht, kriminalitätsrelevante Muster zu identifizieren und potenzielle Straftaten bereits im Vorfeld aktiv zu verhindern. Dadurch ist es möglich, eine effiziente Ressourcenallokation und eine präventive Verbrechensbekämpfung, die sowohl den Sicherheitsbehörden als auch der Gesellschaft zugutekommt, zu erreichen. Kritisch zu betrachten sind jedoch Fragen des Datenschutzes und der Antidiskriminierung, denn algorithmische Verzerrungen können zu ungleichen Behandlungsmustern führen. Zukünftig wird es noch verstärkter notwendig sein, die interdisziplinäre Kooperation zwischen Polizei, Rechtsexpert:innen (wesentlich sind hier Anwält:innen), Ethiker:innen und Techniker:innen zu forcieren, um eine nachhaltige, gerechte und gesellschaftlich akzeptierte Form des (ortsbezogenen) Predictive Policing zu erreichen und gleichzeitig bestehende Bedenken aufzulösen.

 

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