WAFFEN UND DROGEN. Die Nachbarschaft zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten hat eine lange, mitunter blutige Vergangenheit. Zahlreiche Auseinandersetzungen sind im Kino und auch in Museen gelandet. Im Schatten des aktuellen Streits um US-Zölle spielt sich ein delikater Konflikt ab, der mitten in die amerikanische (und auch österreichische) Waffenindustrie führt. Mexiko klagt nämlich amerikanische (und einen österreichischen) Hersteller wegen Belieferung der Drogenkartelle mit Waffen.
Stephen M. Harnik, Esq., New York
Der militärgeschichtliche Begriff des „Last Stand“ bietet ein zeitloses und fesselndes Sujet für eine Vielzahl von Büchern und Hollywood-Filmen. So zum Beispiel die Schlacht an den Thermopylen 480 v. Chr. zwischen dem persischen Kaiser Xerxes I. und den griechischen Spartanern unter der Führung von Leonidas I., in der 300 Spartaner tapfer bis zum Tod gegen die überwältigend große persische Armee kämpften. Im Jahr 2006 wurde dieser Stoff unter dem Titel 300 von Warner Brothers verfilmt und spielte 465 Millionen Dollar ein. Ein weiteres berühmtes Last Stand fand 1836 in der Alamo-Mission (ursprünglich eine religiöse Stätte, die von Missionaren errichtet wurde, um die amerikanischen Ureinwohner zum christlichen Glauben zu bringen) in Texas statt, bei der sich etwa 200 couragierte Texaner gegen die mexikanische Armee wehrten und von dieser umgebracht wurden. Deren Tapferkeit veranlasste Texas jedoch dazu, die Unabhängigkeit von Mexiko zu erklären. Der Schlachtruf „Remember the Alamo“ und die Mission sind auf der Rückseite des texanischen Staatssiegels abgebildet, und jedes Kind der Boomer-Generation kennt die Geschichte aus der Disney-Miniserie Davy Crockett aus den 1950er Jahren und aus dem Film The Alamo mit John Wayne in der Hauptrolle. Daneben haben u.a. Johnny Cash, Willie Nelson und Donovan die „Ballad of the Alamo“ interpretiert. Neben der Mission befindet sich heute ein dreistöckiges Museum, dessen Ausstellungsfülle größtenteils vom Singer-Songwriter Phil Collins von der Rockband Genesis stammt. (Collins ist zwar Brite, hat aber aus irgendeinem Grund ein enormes Interesse an Alamo-Memorabilien entwickelt). Kürzlich besuchten meine Frau und ich anlässlich einer Reise nach Texas aus Neugier auch San Antonio, um das Alamo zu besichtigen. Ein sehr kompetenter und ausgesprochen gut informierter park ranger namens Andrew Merton ließ die Belagerung und das Massaker durch seine Erzählungen lebendig werden und hat mich zu dieser Einleitung inspiriert. Der Besuch hat sich jedenfalls gelohnt, und falls einer meiner Leser San Antonio besuchen sollte, werde ich ihn gerne mit Andrew in Verbindung bringen.
Trumps neuer Wirtschaftskrieg
Ich erwähne dies alles, weil unser neuer Präsident einen weiteren Wirtschaftskrieg mit Mexiko anzetteln will, neben der Einwanderungsproblematik liegt dieses Mal der Fokus auch auf der Einführung von Zöllen auf Fentanyl. Die mexikanische Regierung schlägt logischerweise zurück, und es bleibt abzuwarten, wer „last (wo)man standing“ sein wird (Trump oder Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum) – und welche Seite „Remember the Alamo“ trompeten wird. Oder, wer von den beiden wird in der Lage sein, John Lennons Worte zu paraphrasieren „Happiness is a warm gun,“ anders, „Happiness is no gun“. Der Fall, der am 4. März 2025 vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wird, heißt Smith & Wesson Brands, Inc. gegen Estados Unidos Mexicanos.
Es geht dabei um die Frage, ob eine Klage des Staates Mexico gegen verschiedene Waffenhersteller – darunter auch die österreichische Firma Glock – zulässig ist, basierend auf dem Vorwurf, dass diese den Nachschub von tödlichen Schusswaffen an Drogenkartelle ermöglicht und damit Mexico einen enormen finanziellen und menschlichen Schaden zugefügt hätten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Trump Mexiko gleichzeitig beschuldigt, Kriminelle über die amerikanische Grenze zu lassen, während umgekehrt amerikanische Waffenhersteller (und Glock) verantwortlich gemacht werden, die von Trump gerne zitierten Drogenkartelle zu unterstützen und zu fördern. So erklärte Präsidentin Sheinbaum in einer Ansprache, nachdem sie sich mit Trump am 3. Februar 2025 auf eine Aussetzung der US-Zölle auf Mexiko geeinigt hatte: „[f]or the first time, the U.S. government will work jointly to avoid the entry of guns to Mexico.“
US-Waffen für mexikanische Gauner?
Mexiko brachte in der Klage vor, dass die Beklagten für den Vertrieb bewusst mit solchen Händlern zusammenarbeiten, die bekanntermaßen unverhältnismäßig viele Schusswaffen verkaufen, die an mexikanischen Tatorten sichergestellt wurden. Demnach entwickeln und vermarkten die beklagten Hersteller diese Waffen sogar speziell für diesen Absatzmarkt und richten auch das Vertriebsnetz danach aus. Die Beklagten lassen sich nach der Klage daher absichtlich und für den eigenen Profit auf Vertriebspraktiken ein, von denen sie wissen, dass diese zum illegalen Verkauf und die organisierte Kriminalität führten. Weiters würden bestimmte Waffen speziell für die Kartelle entwickelt, da runter Colt-Sondermodelle wie die Super „El Jefe“-Pistole, eine Bezeichnung für Kartellbosse, und die „Emiliano Zapata 1911“-Pistole, auf der das Diktum des mexikanischen Revolutionärs eingraviert ist: „Es ist besser, im Stehen zu sterben, als auf den Knien zu leben“. Laut Mexikos Klageschrift sind diese Modelle Statussymbole und werden von den Drogenkartellen begehrt und in großen Mengen aus den USA nach Mexiko geschmuggelt. Der jährliche Wert, der so nach Mexiko verbrachten Waffen soll weit über 170 Millionen Dollar betragen.“ Die Kläger zeigen sich überzeugt, der kriminelle Markt sei „a feature, not a bug“ der Verkaufspraktiken der Beklagten.
Rechtmäßige Waffen-Exporte?
Die enge rechtliche Frage ist dabei, ob Mexiko nachweisen kann, dass hier eine „proximate cause“ im Sinne des Gesetzes zum Schutz des rechtmäßigen Waffenhandels (Protection of Lawful Commerce in Armc Act, PLCAA)
besteht. Dieses Gesetz schützt generell Unternehmen, die sich mit der rechtmäßigen Herstellung, dem Vertrieb oder Verkauf von Waffen befassen, vor der Haftung für den unrechtmäßigen Missbrauch ihrer Produkte und verbietet bestimmte Klagen gegen Waffenhersteller. 15 U.S.C. §§ 7901–7903.
Der dictrict court wies die Klage mit der Begründung ab, dass das PLCAA anwendbar sei und die Ansprüche Mexikos ausschließe. Der First Circuit U.S. Court of Appeals hob die Entscheidung auf und stellte fest, dass der PLCAA zwar für Klagen ausländischer Regierungen wegen im Ausland erlittener Schäden gilt, die mexikanische Klage jedoch unter die „predicate exception" des Gesetzes für wissentliche Verstöße gegen die für Waffenverkäufe geltenden Gesetze fällt. Das Gericht befand, dass Mexiko hinreichend dargelegt hat, dass die Beklagten den illegalen Waffenhandel unter Verletzung von US-Gesetzen unterstützt und begünstigt haben und dass Mexiko dadurch ein Schaden entstanden ist. Das Gericht wies die Argumente der Beklagten zurück, da die Kausalkette zu schwach sei, und stellte fest, dass Mexiko plausibel einen direkten Schaden durch den Kampf gegen gut bewaffnete Kartelle geltend macht. Befürworter von Waffenrechten und konservative Gesetzgeber sehen in der mexikanischen Klage eine gefährliche Ausweitung der Haftung, die den Schutz des zweiten Verfassungszusatzes und die Schusswaffenindustrie als Ganzes in Frage stellen könnte. Sie argumentieren, dass die Ansprüche Mexikos auf einer Haftungstheorie beruhen, die es jeder ausländischen Regierung erlauben würde, US-Hersteller für von Dritten begangene Verbrechen zu klagen.
Haftet Hersteller für Waffengebrauch?
Auf der Beklagtenseite argumentierte Smith & Wesson, dass „Mexico’s theory of liability reduces to this: ,A manufacturer of a dangerous Product is an accessory or co-conspirator to illicit conduct by downstream actors where it continues to supply, support, or assist the downstream parties and has knowledge – actual or constructive – of the illicit conduct.‘“ Smith & Wesson betonte auch den Unterschied zwischen aktiver Mittäterschaft und passivem Verhalten. Selbst wenn ein Unternehmen eine umfangreiche Geschäftstätigkeit ausübe, sei es kein aktiver Teilnehmer an nachgelagerten kriminellen Handlungen, es sei denn, das Unternehmen fördere diese Handlungen durch „affirmative misconduct“. In einem amicus brief die Republikaner im Kongress, angeführt vom texanischen Senator (und ehemaligen Anwärter für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten) Ted Cruz die Klage als respektlos gegenüber der U.S. Verfassung bezeichnet. Sie sind der Meinung, dass „Mexico'c lawsuit pursued on American soil carries foreign-Policy implications, which is the province of Congress and the President, not the courts.“ Der Kongress hätte den PLCAA gerade zur Verhinderung solcher Klagen verabschiedet, und damit klargestellt, dass Schusswaffenhersteller nicht für den kriminellen Missbrauch ihrer Produkte haftbar sind.
Demokraten sehen Mitschuld
Die Demokraten und die Befürworter der Waffenkontrolle hingegen sehen in dem Fall eine Gelegenheit, die Waffenhersteller für die vorgeworfene Mitschuld an der Verbreitung illegaler Waffen in Mexiko zur Rechenschaft zu ziehen. Sie argumentieren, dass Waffenhersteller nicht nur passive Akteure sind, sondern aktiv an einer Lieferkette beteiligt sind, die es den Kartellen ermöglicht, Waffen auf militärischem Qualitätsniveau zu erwerben.
Die demokratischen amici angeführt von Senator Richard Blumenthal aus Connecticut, sind der Meinung, dass der PLCAA nicht dazu gedacht war, Waffenhersteller für Schäden zu immunisieren, die aus ihrem eigenen rechtswidrigen Verhalten resultieren, und warnen davor, dass ein Urteil zugunsten der Beklagten es der Waffenindustrie ermöglichen würde, sich der zivilrechtlichen Haftung für Verstöße gegen Gesetze zu entziehen, die Gewaltverbrechen hintanhalten sollen. Die Gesetzgebungsgeschichte des PLCAA würde weiters die Behauptungen der Republikaner widerlegen, dass das Gesetz die gerichtliche Kontrolle verhindere. Das Argument der Beklagtenseite, wonach eine Kausalität nicht greifen soll, wenn der Schaden auf eine kriminelle Aktivität weiter unten in der Kausalkette zurückzuführen ist, würde der „predicate exception“ jeglichen Anwendungsbereich entziehen.
Folgenreiches Urteil
Sollte das Gericht zugunsten von Mexiko entscheiden, könnte das Urteil eine Welle von Rechtsstreitigkeiten gegen Waffenhersteller auslösen und möglicherweise die Rechtslandschaft der Schusswaffenhaftung in den USA fundamental umgestalten. Sollte es zugunsten von Smith & Wesson et al. entscheiden, könnte die Entscheidung den weitreichenden Schutz des PLCAA bekräftigen und die Schusswaffenindustrie weiter vor rechtlichen Anfechtungen – sowohl im Ausland als auch im Inland – schützen. Mit einer konservativen 6 – 3-Mehrheit erwarten viele, dass der Gerichtshof die mexikanischen Forderungen skeptisch betrachten wird. Angesichts der Unvorhersehbarkeit der jüngsten Urteile des Obersten Gerichtshofs kann jedoch kein Ergebnis vorhergesagt werden. Klar ist, dass der Fall ein entscheidender Moment im laufenden Streit um das Waffenthema in Amerika sein wird und ein wichtiger Test dafür, wie weit das Rechtssystem bereit ist zu gehen, um Schusswaffenhersteller für die Auswirkungen ihrer Produkte über die Grenzen der USA hinaus zur Verantwortung zu ziehen.
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Ich möchte Nicholas M. Harnik für seinen wertvollen Beitrag zu den Recherchen für diesen Brief – sowie CR Dietmar Dworschak für die pop-geschichtliche Ergänzung der Headline danken.