Eine Tragödie und ein Sittenbild

UNGEREIMTHEITEN. In seinem Buch „Pilnacek – Der Tod des Sektionschefs“ beschäftigt sich Peter Pilz penibel mit Rätseln rund um den Tod des führenden Justizbeamten. Er stellt viele unbeantwortete Fragen rund um den Ort des Geschehens, zu beseitigten Beweismitteln und zu den Zuständigkeiten bei den Ermittlungen. Seine Spurensicherung im Justizsystem bringt Vorgänge und Seilschaften zum Vorschein, von denen zu befürchten ist, dass sie auch nach dem dramatischen Tod des Sektionschefs weiter bestehen.

 

Dass das gegenständliche Buch nicht beschlagnahmt und problemlos erhältlich ist, verwundert, je tiefer man in die 237 Seiten eindringt. Obwohl Peter Pilz ein penibler Rechercheur ist und praktisch alle wichtigen Personen und Vorgänge „beim Namen nennt“, gibt es of fensichtlich keine nennenswerten Klagen gegen das Werk. Man muss befürchten, dass die Wahrheit drinsteht. Und die besteht aus viel mehr Widersprüchlichkeiten als stringenten Ergebnissen. Als Pilnaceks Leiche gefunden wird, bemüht sich die Exekutive (aus welchen Gründen?) fieberhaft, eine Obduktion zu verhindern. Und: Lange, bevor es überhaupt eine Obduktion gibt, stellt Exkanzler Kurz fest, dass es ein Selbstmord gewesen sei. Pilz: „Eine Geschichte, die in die große Erzählung der ÖVP passte: Wie andere sei auch Pilnacek Opfer einer Hetze eines Netzwerks von Staatsanwälten, Journalisten und Politikern geworden, die nur ein Ziel hatten: der ÖVP zu schaden.“ Pilz bezweifelt die Selbstmord-These mehrfach und nachhaltig. Er listet 20 Verletzungen auf, deren Gesamtbild auf Mord hinweisen könnte. Laut Pilz könnten vor P.‘s Tod Kampfhandlungen stattgefunden haben. 

 

Genaue Zeitraster, penible Detailarbeit

Die Präzision der Pilz’schen Ermittlungen beeindruckt. Er erstellt genaue Zeittafeln, kümmert sich penibel um jedes Tatortdetail und stellt viele Fragen, die man bei den Ermittlern nur schlampig oder gar nicht gestellt hat. Beispielsweise sei ein Zettel der leichenbeschauen den Ärztin nicht zur Staatsanwaltschaft gelangt. Immerhin ist darauf zu lesen: „Eine gerichtliche Obduktion … ist erforderlich, da ich ein Fremdverschulden nicht ausschließen kann.“ Zu den Schmankerln rund um die „Aufklärung“ des Falles gehört eine Mail von P.‘s Witwe an die WKStA: „Meine Kinder haben das Telefon, die Schlüssel und Brieftasche sofort…an mich übergeben. Ich habe es vernichtet. Ich hatte genug Kummer mit den Mobiltelefonen meines Mannes.“ Dies schreibt eine Strafrichterin und Präsidentin eines Straflandesgerichts. Beweismittel? Nie gehört. Pilz fragt: „Wer hat veranlasst, dass statt Spuren in einem Todesfall Datenträger, die für die ÖVP gefährlich schienen, gesucht wurden? Wer hatte aus Ermittlern des Landeskri minalamtes einen Daten-Putztrupp der ÖVP gemacht? War es der Bundespolizeidirektor, der Generaldirektor oder der Minister selbst?“

 

Beseitigung eines Unliebsam Gewordenen?

Der vom Erkenntniswert wichtigere Teil des Buches beschäftigt sich mit der Zeit vor dem Tod des Sektionschefs. Da geht es ausführlich um das „System Pilnacek“, also jene Strukturen, die sich der Spitzenbeamte im Lauf der Zeit zu wesentlichen Akteuren der Staatsanwaltschaften aufgebaut hatte und von denen die meisten auf Zuruf funktionierten. Ein deutlich schlechteres Gehör hatte hier bekanntlich die WKStA. Wie bekannt musste der Sektionschef dann auch mal laut werden. Erst als Justizminister Brandstetter einen neuen und Pilnacek- kompatiblen Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien installierte, heiterte sich die Stimmung im Büro des Doppelsektionschefs wieder auf. Die Korruptionsermittler blieben zwar nach wie vor ein im wahrsten Sinn des Wortes „rotes Tuch“, doch machte man jetzt mit gemeinsamer Energie das Leben der ungeliebten Behörde immer schwerer. Die Nonchalance, mit der das „System P.“ auch anderswo in laufende Verfahren eingriff, sollte eigentlich erschüttern. Bis zur Suspendierung des Sektionschefs durch Ministerin Zadic wurde die ungenierte Machtausübung des „mächtigen Beamten“ fast schon als Folklore gesehen. Man fürchtete sich davor und tuschelte. Im „Schwarzen Kameel“ grüßte man untertänigst. Erst die „Kreutner-Kommission“ arbeitete – viel zu spät – das Sittenbild dieses informellen Weisungssystems auf. Zu diesem Zeitpunkt haderte der suspendierte Spitzenbeamte beim Nobel-Italiener vor verborgenem Mikrofon bereits mit der Undankbarkeit der ÖVP. Hatte sie ihn dann irgendwann „fallen lassen“? Immerhin gab es da noch regen Kontakt mit Ex-Kanzler Kurz, dem P. half, sich auf ein Verfahren am Landesgericht Wien vorzubereiten. Dazu meint Pilz: „Pilnacek sollte gewusst haben, dass die Beratung des Beschuldigten Sebastian Kurz im laufenden Strafverfahren dem Beamten Pilnacek auch während seiner Suspendierung strikt verboten war.“ Der oft verkündeten Selbstbeweihräucherung, Österreichs Justiz strotze vor Sachlichkeit und Unabhängigkeit, versetzen gleich mehrere Kapitel des Buches einen schweren Schlag. Eine Mischung aus Passagen der Kreutner-Kommission und Beobachtungen des Autors vermitteln das düstere Bild unablässiger Intrigen und Machtspiele in den Ministerien für Inneres und Justiz. Mit Pilnacek ist einer der großen „Player“ dieser Spiele abgetreten. Man fragt sich besorgt, was aus den von ihm geschaffenen Kommunikations- und Machtstrukturen geworden ist und wird.

 

 

 

 

Peter Pilz Pilnacek –

Der Tod des Sektionschefs

256 Seiten ISBN-10: 395055632X

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