GEFÄHRLICHE FÜHRUNGSLOSIGKEIT. Die Verfassung stellt sicher, dass die österreichische Demokratie auch im Sturm nicht taumelt. Sagt jedenfalls der Bundespräsident. Dass die fehlende Kompromissbereitschaft der Parlamentsparteien einen über vier Monate langen Regierungsstillstand produziert hat, zeigt bereits fatale Auswirkungen.
Dietmar Dworschak
Herausgeber & Chefredakteur
Am Tag, als Herbert Kickl seinen Regierungsbildungsauftrag zurücklegte, servierte der ORF vielfach „Volkes Stimme“. Neben zwei soignierten Herren, die über das Ende des Spuks sehr erleichtert waren, hörte man fast ausschließlich verbitterte Frauen und Männer: „Schleicht’s Euch!“ Mit feiner Witterung für diese Stimmung schlüpfte am Abend des 12. Februar der Herr Nicht-Volkskanzler wieder einmal in seine Lieblingsrolle des Opfers. Düstere Mächte in der ÖVP hätten das Staatsrettungsprojekt der FPÖ zur Strecke gebracht. Es ist zu befürchten, dass viele das auch noch glauben. „Es reicht“, war immer wieder zu hören. Der Abstand zwischen der Bevölkerung und ihren politischen Repräsentanten steuert auf eine historische Dimension zu.
Man gehe nur mal durch die Stadt
Hörte man am Vormittag des 12. Februar Ö1, wurde man mit einem wissenschaftlichen Phänomen vertraut gemacht, das seit Wochen ganz Österreich beherrscht: die kollektive Depression. Verkäufer:innen stehen tagelang kundenlos in den Geschäften, Plätze und Straßen in Dörfern und Städten sind ausgestorben. Und das nicht nur, weil die Menschen wegen Saalbach vor den TV-Geräten sitzen. Die Stimmung ist am Tiefpunkt, sie ist geradezu morbid. Ein idealer Nährboden für die Beschleunigung des wirtschaftlichen Niedergangs des Landes. Provisorische Regierung? Dieser vertraut man ungefähr so wie dem Steuerrad eines sturmgepeitschten Schiffes, das mit Tixo fixiert worden ist.
Vision statt Experten
Die Frage ist jetzt, auf welche Weise das schlingernde Schiff in ruhiges Wasser gelenkt werden soll und kann. Die immer wieder vorgeschlagene „Expertenregierung“ ist schon deshalb keine Option, weil dringendst Entscheider gebraucht werden, und keine Verwalter. Noch deutlicher: Jetzt müssen Krisen-Manager (m/w) ans Ruder. Das wichtigste Wort in der Job-Deskription muss aber lauten: Visionär (m/w).
Jemand, der selbst mit dem Kompass gut umgehen kann und fähig ist, Richtungen vorzugeben. Und noch etwas: Der neue Steuermann, die neue Steuerfrau wird den neuen Kurs nur durchsetzen, wenn er/ sie die meuternde Mannschaft überzeugt und motiviert. Die alten Schläuche gehören dringend über Bord geworfen, mit alten Konzepten darf nicht einmal verhandelt werden.
Raus aus den Buchten der Bequemlichkeit!
Jene Dynamik, mit der Blau und Türkis innerhalb einer Woche eine Budgetmeldung nach Brüssel gebastelt haben, sollte Vorbild für das neue Logbuch des Republik-Schiffs sein: Unerschrocken „Besitztümer“ angreifen, Gewohnheiten durchlüften, vieles in Frage stellen. In dieser Ausgabe von ANWALT AKTUELL liefern wir dazu handfeste Anregungen: Auf den Seiten 10 – 12 können Sie lesen, welches Potential im dringend notwendigen Abbau der Bürokratie in Österreich schlummert. Wer Milliarden sucht, wird sie hier finden. Voraussetzung ist allerdings, dass man den bequemen Büro-Anzug mit dem Trainingsanzug vertauscht. Nur die Bereitschaft zu einem grundsätzlichen neuen Blick auf auf den Staat kann helfen, Österreich wieder fit zu machen und auf einen Zukunftskurs zu führen.
Verlässliche Navigation
Nach den teilweise staatsgefährdenden Ideen der letzten Regierungsverhandlungsrunde ist dringend die Rückkehr zu einer verfassungskonformen Diskussion geboten. So rau kann ein politisches Wetter gar nicht sein, dass man sich am Rechtsstaat vergreift. Wenn in der Kapitänskajüte am Ende der hoffentlich kurzen Beratungen über den neuen Kurs die Fragen nach dem Personal stehen, dann muss unbedingt auf jene Petition geachtet werden, die in Erwartung von Blau/ Türkis eine parteifreie Persönlichkeit für die Spitze des Justizministeriums gefordert hat. Neuer Kurs heißt auch hier: Transparenz statt augenzwinkerndem „Konsens“.