Dr. Rupert Wolff - Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK)
ÖRAK-Präsident Dr. Rupert Wolff erläutert im Gespräch mit Anwalt Aktuell, welche Reformen es in der Justiz braucht, um Österreich zum besten Rechtsstaat der EU zu machen.
Die Nationalratswahl ist geschlagen, die Koalitionsgespräche zwischen ÖVP und den Grünen sind in vollem Gange. Wie bewerten Sie eine solche mögliche Koalition und was erwarten Sie von dieser?
Rupert Wolff: Für Bewertungen ist es noch viel zu früh. Vorerst bleibt abzuwarten, wie sich die neue Bundesregierung tatsächlich zusammensetzen wird. Meine Erwartungen sind aber klar: Mehr Ressourcen für die behördliche Justiz, hier vor allem im Bereich der Kanzleien, strukturelle Verbesserungen im Bereich der Digitalisierung – insbesondere die Einführung des elektronischen Strafaktes – und viele weitere Maßnahmen zur Steigerung der Verfahrensqualität und effzienz. Und natürlich die überfällige Anpassung der Pauschalvergütung für die Verfahrenshilfeleistungen der Kolleginnen und Kollegen. Es besteht aber auch massiver Reformbedarf im Bereich des strafrechtlichen Haupt und Rechtsmittelverfahrens sowie im Zivilverfahren. Im Strafverfahren denke ich vor allem an die Rolle des Privatsachverständigen, die im Sinne der Waffengleichheit vor Gericht verbessert gehört. Einige dieser Themen waren ja bereits im letzten Regierungsprogramm verankert.
Glauben Sie, dass eine neue Regierung dieses Programm übernimmt?
Rupert Wolff: Ich denke, Rechtsstaatlichkeit ist ein parteiübergreifendes und zeitloses Thema. Man braucht das Rad nicht neu zu erfinden, wenn unabhängige Experten wie die österreichischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihre konkreten Verbesserungsvorschläge einmal formuliert haben. Wir bringen unsere Vorschläge gerne auch in die aktuellen Verhandlungen ein, ich denke aber, man könnte das weitgehend gute Justizprogramm der letzten Bundesregierung ab arbeiten.
Warum hat die letzte Regierung das nicht bereits getan?
Rupert Wolff: Nun, zum einen, weil mit den Agenden Verfassung, Reformen und Deregulierung Aufgabengebiete dazu genommen wurden, die weitere Arbeit gebracht haben, zum anderen, weil diese Bundesregierung doch recht wenig Zeit hatte, ihr Programm abzuarbeiten. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang auch zu betonen, dass das Justizministerium mit seinen Kern aufgaben mehr als ausgelastet ist. Die Justiz sollte künftig wieder im Mittelpunkt stehen, andere Agenden – wie etwa Deregulierung – ausgelagert werden. Der Justizminister hat auch so eines der inhaltlich gewichtigsten und sensibelsten Ressorts zu leiten.
Sie haben in der ORF-Pressestunde auch die Qualität der Gesetzgebung kritisiert. Wo sehen Sie hier die Verantwortung einer neuen Regierung?
Rupert Wolff: Hier sehe ich die Verantwortung vor allem beim Parlament. Was wir kritisieren ist, dass die Begutachtungsverfahren zu einem demokratiepolitischen Feigenblatt werden, dass die sechswöchige Begutachtungsfrist nicht eingehalten wird und kritische Stellungnahmen zu wenig ernst genommen werden. Wenn die Begutachtung den Stellenwert hätte, den sie haben sollte, dann hätte etwa das Gewaltschutzgesetz nicht beschlossen werden dürfen. Ich appelliere daher an die Mandatare, darauf zu drängen, dass die Begutachtungsfristen eingehalten werden und die eingebrachten Stellungnahmen debattiert werden. Unsere Demokratie hat ein Recht auf einen selbstbewussten Parlamentarismus, der sich einer Bundesregierung gegenüber klar positioniert.
Zum Abschluss: Wen wünschen Sie sich als neuen Justizminister?
Rupert Wolff: Eine Frau oder einen Mann mit Fachkenntnis, weitgehender Unabhängigkeit und dennoch der politischen Kraft, dass sie oder er die notwendigen Maßnahmen umsetzen kann. Ich wünsche ihr oder ihm viel Glück und die Entschlossenheit, die es braucht, Österreich zum besten Rechtsstaat der EU zu machen. Die österreichischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind bereit, tatkräftig dabei zu unterstützen.