Die Schlange und das Kaninchen

 

 

RAINER MAUSFELD, 69,

em. Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Kiel. Wissenschaftliche Schwerpunkte: Wahrnehmungspsychologie, Kognitionswissenschaft und Geschichte der Psychologie. Autor des Buches „Warum schweigen die Lämmer?“ (2018)

 


 

BILLIGE HYPNOSE. Was man aus der Erziehung und aus Betrieben aller Art kennt, das funktioniert auch in der Politik mit gutem Erfolg: Management by Angst. Rainer Mausfeld, Professor für Wahrnehmungs- und

Kognitionsforschung, analysiert die Methoden moderner gesellschaftlicher Manipulation.

Beitrag: Dietmar Dworschak

 

 

Das schmale Buch „Angst und Macht“ von Rainer Mausfeld  verschärft die Aussagen seines 2018 erschienenen Werkes  „Warum schweigen die Lämmer?“ Im Untertitel präzisiert er, dass es um „Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ geht. Er bezieht sich einleitend auf den amerikanischen Sozialpsycho­logen Alex Carey: war durch drei Entwicklungen von großer Bedeutung gekennzeichnet: das Wachstum der Demokratie, das Wachstum der Unternehmensmacht und das Wachstum der Unternehmenspropagan­ da als Mittel zum Schutz der Unternehmensmacht vor der Demokratie.“  

 

Traditionelle Wege der Angsterzeugung 

Dass sich diese Strategien auch in die Politik durchgesprochen haben sieht man an den Erfol­gen speziellrechter Parteien. Migration, massen­hafter Zuzug und Überfremdung sind die Muniti­on, mit der auf Hasenherzen gezielt wird. Die traditionellen Techniken der Angsterzeugung bestehen laut Rainer Mausfeld aus drei Kompo­nenten: „1. Die Entformalisierung des Rechts durch syste­matische Verwendung unbestimmter Rechtsbe­griffe, 2. Die Ideologie der Meritokratie, 3. Die Psychotechnik der propagandistischen Erzeugung von vorgeblichen Bedrohungen.“ Zum Thema „Entformalisierung des Rechts“ weist der Autor (im Gleichklang übrigens mit dem juris­tisch ausgebildeten Journalisten Heribert Prantl) auf den Begriff des „Gefährders“ hin, der längst schon Eingang in die Alltagssprache gefunden hat. Solche Leute können in manchen „modernen“ Rechtssystemen bereits in „Unendlichkeitshaft“ genommen werden: „Das Feindstrafrecht löst die Exekutivorgane von rechtsstaatlichen Bindungen und ermöglicht ihnen die Anwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel“. Aus der Demokratie, so Mausfeld, sei in den meis­ten entwickelten politischen Systemen mittlerweile eine „Meritokratie“ geworden: „In einer solchen Gesellschaft nimmt jedes Mitglied die von ihm verdiente gesellschaftliche Position ein. Die Rei­chen haben ihren Reichtum und ihre soziale Po­sition durch ihre Tüchtigkeit verdient, und aus gleichem Grund sind die Armen zu Recht arm.“ 

 

Verdeckung eigener Ziele

Um über die tatsächlichen Absichten hinwegzu­täuschen bedient sich moderne manipulative Po­litik der „propagandistischen Deklaration einer großen Gefahr X, der die Bevölkerung durch einen ‚Kampf gegen X‘ entschlossen entgegentreten müsse“ schreibt Mausfeld. „X kann also für ‚Kommunismus‘ stehen, für Migranten, ‚Sozialschmarotzer‘, Terrorismus, Fake News und Desinformation, Rechtspopulismus, Islamismus oder für irgendetwas anderes.“ Durch die Betonung solcher Themen könne man die Aufmerksamkeit sehr wirksam auf Ablenkziele richten, „und schließlich lassen sich unter dem Vorwand eines Kampfes gegen X demokratische Strukturen abbauen und auf allen Ebenen der Exekutive und Legislative autoritäre Strukturen etablieren.“

 

Die angebliche Ahnungslosigkeit des Einzelnen

Mit großem Erfolg suggerieren die modernen Angstmacher, dass unsere Welt für den Einzelnen nicht mehr durchschaubar sei: „Den Kern der neoliberalen Ideologie bildet eine Markttheologie, die eine ‚völlige Unwissenheit aller im Angesicht eines allwissenden Marktes‘ postuliert und dem Men­schen eine unaufhebbare grundsätzliche Unwis­senheit über alle gesellschaftlichen Verhältnisse zuschreibt… Ein Gefühl des Verlustes von Kont­ rolle über die eigene gesellschaftliche Situation ist die zwangsläufige Folge.“ Rainer Mausfelds Weckruf „Angst und Macht“ hat rund 100 eindringliche Seiten. Die linker Sympathie unverdächtige „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt: „Eine so schmerzhafte wie brillante Endoskopie des gegenwärtigen politischen Systems. Mausfeld ist ein Volksaufklärerin der Denktradition Humboldts, Deweys und Chomskys… ein Weckruf zur rechten Zeit.“